Der letzte Fall liege zwei Jahrzehnte zurück. Und aktuell sei gegen keinen Priester der Erzdiözese ein Missbrauchsvorwurf anhängig. Das sind die beiden beruhigenden Informationen, die das Erzbistum Washington am späten Montag (Ortszeit) in einem - ansonsten alarmierenden - Bericht öffentlich machte. Demnach haben Betroffene seit 1948 gegen insgesamt 31 Priester und Ordensleute glaubwürdige Vorwürfe wegen sexueller Übergriffe oder Missbrauchs vorgebracht.
Ungewöhnlicher Schritt
Der ungewöhnliche Schritt, Ross und Reiter in dem schwelenden Skandal der katholischen US-Kirche zu benennen, kommt nach einem ohnehin schon schwierigen Wochenende für die Katholiken der US-Hauptstadt. Am Freitag hatte Papst Franziskus nicht unerwartet den Amtsverzicht des 77-jährigen Kardinals Donald Wuerl angenommen, der zu seinen Verbündeten in der US-Bischofskonferenz gehörte.
"Ich habe ihn wirklich gemocht", sagt der Katholik Terry Browne. "Er ist ein bescheidener Mann, der mit weicher Stimme spricht. Dass er zurücktreten musste, ist wirklich traurig." Dabei bleibt Wuerl dem Erzbistum noch eine Weile als sogenannter Administrator erhalten, bis der Papst einen Nachfolger bestimmt hat. Das erzürnt wiederum Kritiker, die nicht verstehen, wie jemand, der so ins Zwielicht geraten sei, weiter eine Rolle spielen dürfe.
"Er scheint völlig ohne Konsequenzen für seine Handlungen davonzukommen", sagt etwa der Generalstaatsanwalt von Pennsylvania, Josh Shapiro. Er hatte im August mit dem sogenannten Pennsylvania-Report für ein Erdbeben in der katholischen Welt gesorgt. Darin waren die Übergriffe von mehr als 300 Priestern und Ordensleuten über die vergangenen sieben Jahrzehnte aufgelistet worden.
Wuerls Name, der in den 80er und 90er Jahren als Bischof in Pennsylvania tätig war, tauchte in dem Bericht mehrmals auf.
Nicht entschieden gegen Verdächtige vorgegangen?
Wenngleich ihm persönlich keine Übergriffe vorgehalten werden, soll er damals nicht entschieden gegen Verdächtige vorgegangen sein. "Dieser Prozess lehrt uns, dass wir uns nicht auf die Selbstheilungskräfte der Kirche verlassen dürfen", sagt Shapiro.
Das sehen auch die Betroffenen so. "Das war wie ein Messerstich ins Herz derer, die schon vorher unter der katholischen Kirche gelitten haben", sagt Mitchell Garabedian, der als Anwalt für die Opferorganisation "Survivors Network" tätig ist. "Statt ihn als Opfer darzustellen, hätte der Papst ihn zwingen sollen offenzulegen, was er als Bischof von Pittsburgh über 18 Jahre und später im Skandal um Kardinal Theodore McCarrick getan hat."
Der katholische Kolumnist John Allen, Macher des Portals "Crux", differenziert. Wuerl sei ein einflussreicher Kirchenführer gewesen, so etwas wie "die gefühlte Mitte der US-Bischofskonferenz". Er habe zu den "offensivsten Bischöfen" gehört, die von Anfang an auf eine "Null-Toleranz"-Politik gedrängt hätten.
Es sei eine Ironie, so Allen, dass er nun Opfer dieser Politik werde, für die er sich einst selbst stark gemacht habe. Darüber hinaus verliere Franziskus einen wichtigen Verbündeten in einer Bischofskonferenz, die sich mit diesem Papst schwer tue.
Die Website der Erzdiözese Washington hatte am Freitag das Schreiben des Papstes zur Annahme des Rücktritts und eine kurze Stellungnahme Wuerls veröffentlicht. Seitdem hat das Rätselraten um dessen Nachfolge begonnen, aber auch darum, wer der Nächste sein könnte, den die Geschichte einholt. Ins Visier geriet zuletzt auch der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Kardinal Daniel Di Nardo (69).
Vorwürfe stehen im Raum, DiNardo sei über Jahre nicht gegen einen beschuldigten Priester vorgegangen.