Gegen eine Begleiterscheinung von Covid-19 gibt es bisher keinen Impfstoff. Die Rede ist von der steigenden Zahl der Scheidungen seit Beginn der Pandemie. In den USA hat die Scheidungsrate innerhalb eines Jahres um mehr als ein Drittel zugenommen. Der Familientherapeut Mark Mayfield aus Colorado Springs sagt, ein Grund dafür seien die enormen psychischen Belastungen durch das Virus. Wer diese nicht unter Kontrolle bekomme, erlebe oft "eine Explosion zuhause".
Scheidungsquote stieg stark an
Vor allem Ehepaare, die sich vor weniger als fünf Jahren das Ja-Wort gaben, ziehen die Reißleine, stellt der Online-Dienst «LegalTemplates» fest. Das deute darauf hin, dass frisch verheiratete Paare "weniger gut auf die Stressfaktoren der Pandemie vorbereitet sind als reifere Paare".
Betroffen sind auch mehr Familien mit Kindern als 2019. Allein in den ersten Wochen des Lockdowns von Mitte Februar bis Mitte April 2020 stieg die Scheidungsquote um 57 Prozent.
Auch Finanzen spielen eine Rolle
Dabei geht es laut Experten nicht nur um die Frage der Reife, sondern auch um die wirtschaftliche Lage der Ehepaare. Das "Institute for Familiy Studies" kam schon im vergangenen Herbst zu dem Ergebnis, dass den größten emotionalen Tribut unter verheirateten Amerikanern diejenigen zahlen, die auch den größten finanziellen Schaden in der Pandemie erleiden.
Und diese Gruppe könnte noch größer werden. Viele Scheidungen liegen mitten in der Pandemie auf Eis, weil die wirtschaftliche Lage Ängste vor den Konsequenzen schürt. Deshalb verschöben viele zerstrittenen Paare den Gang zum Scheidungsrichter, berichten Eheberater.
Dunkelziffer vermutlich größer
Gleichzeitig dürfte auch die Dunkelziffer eingereichter Scheidungsanträge deutlich höher sein. Denn Familiengerichte sind derzeit nicht in der Lage, alle scheidungswilligen Ehepaare offiziell für gescheitert zu erklären, da sie unter Lockdown-Bedingungen nur eingeschränkt arbeiten.
Das bestätigt auch das Zentrum für Familien- und Bevölkerungsforschung der "Bowling Green State University" in Ohio. Trennungswillige Paare seien in Krisenzeiten zurückhaltender, wenn sie mit wirtschaftlicher Unsicherheit konfrontiert seien. Experten rechnen mit einem Nachholbedarf an Scheidungen, wenn die Pandemie vorüber ist.
Die Pandemie verändert Umstände
Dazu könnten auch peinliche Aspekte beitragen, die mitten in der häuslichen Quarantäne aufgedeckt werden. Seitensprünge kommen erst jetzt ans Tageslicht, da Rendezvous in Zeiten sozialer Distanz nicht mehr möglich sind.
Die "Überbrückung" des Fremdgehens via Chat bleibt Ehefrauen und Ehemännern nicht lange verborgen. Spätestens mit der harmlosen Frage, "Schatz, mit wem chattest du gerade?", gerät der Haussegen in Schieflage.
Jetzt heiraten oder verschieben?
Nicht nur das Ende, auch der Anfang vom "Bund für das Leben" stellt Partner vor Herausforderungen. Viele Paare fragen sich, so die Beobachtung von Seelsorgern, ob sie die Hochzeit mit Glockengeläut in der Kirche und Festbankett mit Familie, Freunden und Kollegen nicht lieber auf bessere Zeiten verschieben.
Manche halten am Terminplan fest oder weichen ins Netz aus: Sie heiraten im engsten Kreis und die Gäste stoßen via Zoom auf Braut und Bräutigam an.
Das alles findet vor dem Hintergrund einer seit Jahren zurückgehenden Heiratsquote statt. Die Gründe dafür sind unterschiedlich. Einerseits ist die "wilde Ehe" gesellschaftlich akzeptiert, andererseits scheuen viele Paare finanzielle Abenteuer durch eine Heirat.
Probleme werden verschärft
Was viele Ehepaare derzeit an den Rand ihrer Belastbarkeit bringt, ist das Gefühl des ohnmächtigen Gefangenseins. Was vor der Coronakrise "nur" störte, wirkt jetzt katastrophal. Das Muster ist Eheberatern bekannt: Nach zwölf Stunden im Büro kommt der eine Ehepartner ermattet nach Hause und trifft auf den anderen, der seit Monaten den Kindern lesen, schreiben und rechnen am Küchentisch beibringt.
Bei beiden liegen die Nerven blank. Familientherapeut Mayfield rät in Zeiten sozialer Distanz deshalb auch zu Distanz unter dem eigenen Dach. "Verbringen Sie etwas Zeit für sich."