DOMRADIO.DE: Die USA gelten politisch als einer der engsten, wenn nicht sogar als der engste Verbündete des Staates Israel. Woher kommt denn jetzt auf einmal dieser Gegenwind?
Klaus Prömpers (USA-Experte, ehemaliger ZDF-Korrespondent): Es liegt daran, dass über die Jahre natürlich sehr viel daran gearbeitet worden ist, von palästinensischer Seite im Zusammenwirken mit dem Auftreten der Vereinten Nationen in New York speziell, aber auch sonst an anderen Stellen, Gehör zu bekommen. Und es ist ja nicht zu verkennen, dass in den jetzt etwa zwölf Jahren, die Netanjahu an der Macht ist, er das Westjordanland für mehr Besiedlung geöffnet hat. Siedlungen, die dort gebaut worden sind, haben ja nicht zum Frieden beigetragen mit den Palästinensern.
Da hat sich jetzt eine Stimmung etwas geändert und die Palästinenser und deren Schicksal haben ein großes Gehör gefunden. Das gilt natürlich nicht für alle Universitäten, aber für einige, die traditionell ohnehin eher dem demokratischen Spektrum näherstehen, dem linken Spektrum, wenn man so will, und von daher eher auf der Seite der Palästinenser zu stehen scheinen. Und das nehmen die dann auch gerne auf, was der UN-Generalsekretär Antonio Guterres im Sicherheitsrat vor zwei Wochen gesagt hat, nämlich man müsse auch die Ursachen bedenken, die zu diesem Terrorangriff, den man verurteilt, geführt haben.
DOMRADIO.DE: Was auffällt: Es scheint ja eine zum Teil sehr unreflektierte antiisraelische Haltung zu sein, gerade eben an Orten wie Universitäten, wo man ja eigentlich erwarten würde, dass die Studierenden kritisch aufklärerisch denken.
Prömpers: Das ist zum Teil natürlich auch eine Frucht der "cancel culture". Dass bestimmte Meinungen an bestimmten Universitäten gar nicht mehr wirklich gehört werden, negiert werden, ausgeblendet werden. Das kann man im Einzelfall unter Umständen begrüßen, wenn eine bestimmte Meinung nicht zu Gehör kommt. Aber wenn man überhaupt ein ganzes Spektrum ausschließt, dann kann es dahin führen, wo es jetzt hingeführt hat, dass in bestimmten Universitäten eben eine pro-palästinensische Meinung vorherrschend ist und alles andere nicht mehr gilt. Das ist natürlich abzulehnen, und es wird auch von den meisten Studenten abgelehnt, dass es physische Übergriffe gegen jüdische Mitstudenten gibt.
DOMRADIO.DE: Aber das heißt, es gibt auch die andere Seite, es gibt auch die Israel-freundlichen Universitäten?
Prömpers: Es gibt erstens jüdisch betriebene Universitäten, die das natürlich ganz anders sehen. Aber man darf auch nicht vergessen, auch die jüdische Glaubensgemeinschaft in den USA ist nicht homogen. Die ist gespalten. Die einen stehen voll und ganz hinter Netanjahu, hinter der Regierung, hinter dem Staat Israel, die anderen stehen auch hinter dem Staat Israel und seinen Bürgern, aber nicht hinter Netanjahu.
Nicht umsonst sind jene, die Netanjahu ablehnen und seine Siedlungspolitik schon immer verurteilt haben, unlängst zu Demonstrationen ausgezogen, um zu sagen: "Wir müssen auch den Palästinensern Recht geschehen lassen. Wir können nicht so einfach jetzt massenhaft töten im Gazastreifen".
DOMRADIO.DE: Es gibt ja auch christliche Einrichtungen, katholische Universitäten, Notre Dame als Jesuitenhochschule zum Beispiel, wie sind die denn bei dieser Lage einzuordnen?
Prömpers: Die sind im Grunde so ähnlich einzuordnen wie alle anderen Institutionen in den USA auch. Sie sind auch polarisiert. Die Jesuiten sind im Zweifel ja als Menschen, die sich sehr stark um die Flüchtlinge insgesamt kümmern, also die Migranten, die in die USA kommen, eher auf der Seite, die palästinensischen Anliegen zu berücksichtigen. Gleichzeitig verurteilen sie den Terror, gestehen den Palästinenser aber auch ein Recht zu. Die würden wahrscheinlich sagen – und sagen auch – es gibt die Zwei-Staaten-Theorie, wir müssen sie umsetzen in die Praxis. Netanjahu hat alles dazugetan, dass das nun kaum noch möglich ist. Und es gibt natürlich andere, die voll hinter ihm stehen und sagen, das, was da jetzt passiert und was gemacht wird, das ist richtig.
Wir werden jetzt sehen, wenn die Kongressabgeordneten darüber abstimmen müssen, welche Hilfe es für Israel gibt, wie sich dann insbesondere die ja nicht wenigen Katholiken im Repräsentantenhaus verhalten werden in den republikanischen Reihen, die ja sonst sehr konservativ sind. Das lässt sich noch nicht endgültig abschätzen. Das ist ja gerade ein Prozess, der beginnt. Aber der wird uns Aufschluss darüber geben, wie sozusagen der rechte Rand des Katholizismus in den USA urteilt.
DOMRADIO.DE: Es ist ein knappes Jahr bis zur nächsten Präsidentschaftswahl. Welche Rolle wird da dieser Konflikt spielen? Donald Trump hatte damals die Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem geholt. Wir erinnern uns auf der anderen Seite, dass Obama und Netanjahu Konflikte hatten. Also kann man das im Blick auf Biden und auf die anstehende Wahl einfach so schwarz und weiß sehen oder ist das noch komplizierter?
Prömpers: Nein, es ist noch komplizierter dadurch, dass Biden zunächst ja lange Zeit sich Netanjahu "vom Hals gehalten" hat und gesagt hat: kein Besuch im Weißen Haus, kein gemeinsames Foto im Oval Office. Als aber der Anschlag am 7. Oktober passiert ist, ist er sehr bald rüber geflogen, hat seine Solidarität bekundet mit den israelischen Bürgern, und zwar allen Bürgern, sowohl den jüdischen Bürgern als auch den arabischen Bürgern, die es ja da auch gibt. Und er hat alles dafür getan, dass möglichst viel Hilfe kommt. Es gibt militärische Hilfe auf der See als ein Bedrohungsszenario, damit sich dort kein Flächenbrand entwickelt gegenüber dem Iran, gegenüber den Huthis im Jemen etc. Und er wird sicher alles dafür tun, dass es zu einer endgültig dann friedlichen Lösung kommt. Es hängt natürlich alles davon ab, in dem Fall, ob es gelingt, bis zum heißen Wahlkampf im nächsten Sommer diesen Konflikt wieder einzufrieden und auf eine Friedenslösung zuzustreben. Entscheidend wird aber für die Wahl sein, denke ich, und das sagen alle Umfragen, die Frage der wirtschaftlichen Situation der Menschen in Amerika, die entscheidet mehr als die Außenpolitik.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.