Uwe Timm erzählt die Geschichte von Alfred Plötz, der ein überzeugter Kommunist war und dann zum Begründer der Rassenhygiene der Nationalsozialisten wurde. "Plötz sagt, man muss den Menschen grundsätzlich ändern, durch Züchtung, durch Veränderung optimieren", beschreibt Timm den Eugeniker, "damit will er den Humunkulus zeugen und am Ende dieser Entwicklung steht Auschwitz". Alfred Plötz war Atheist, im Dienst der absoluten Wissenschaft. Der Mensch war für ihn Material zu Versuchszwecken. Wie der Schöpfergott wollte er eine neue Menschenrasse erschaffen. "Das ist alles nicht so fern. Heutzutage versucht man ja auch den Humunkulus zu zeugen," fürchtet Uwe Timm. "In Silicon Valley werden Versuche gemacht, die schon längst nicht mehr kontrollierbar sind. Diese Wissenschaftler haben überhaupt gar keine Probleme damit. Sie sagen, die Wissenschaft selbst rechtfertigt alle diese Forschungen, basta. Und das tut sie nicht!"
Plötz - sein Weg vom Kommunisten zum Chef-Eugeniker der Nazis
Uwe Timm erzählt vom wissenschaftlichen Irrsinn, den Alfred Plötz auf die Spitze treibt. Für die Nationalsozialisten will er den perfekten Menschen züchten. Und das obwohl Plötz einst Kommunist war, für die Utopie einer kommunistischen Gesellschaft kämpfte. "Ikarien" hieß das Gesellschaftsmodell, das sich französische Intellektuelle ausgedacht und in den USA Mitte des 19 Jahrhunderts in kleinen Gruppen auch ins Leben umgesetzt hatten. "Diese Bewegung wollte den idealen Staat entwickeln, und dieser ideale Staat sollte erst einmal in Kommunen ganz praktisch umgesetzt werden – und zwar sofort". Alfred Plötz besucht mit einem Freund eine "Ikarien" Kommune in Amerika, kehrt jedoch desillusioniert zurück und kommt über die Eugenik dazu, die Gesellschaft und den Menschen durch wissenschaftliche Manipulation zu verändern. Er will in die Zeugung eingreifen und den neuen Menschen züchten.
1945 - Erinnerungen aus früher Kindheit
Im Roman schickt Uwe Timm einen deutschstämmigen amerikanischen Soldaten auf die Spur von Alfred Plötz. Michael Hansen heißt der und kommt 1945 nach Deutschland. Im Auftrag des US-Geheimdienstes soll er herausfinden, welche Rolle der Wissenschaftler Plötz für die Nazis gespielt hat. 1945, das zerstörte Deutschland, das ist die Kulisse, auf die Hansen trifft, eine Welt, die Uwe Timm aus seiner Kindheit kennt. "Das sind meine Erinnerungen als fünfjähriger Junge", erzählt er. "Die Erwachsenen waren von heut auf morgen verändert, als die Amerikaner kamen, weil die G.I.s nicht so zackig waren, weil der NS-Kreisleiter, ein gefürchteter Mann, in der Gosse stand und die Gosse fegen musste, und die Amerikaner fuhren vorbei und spritzten ihn nass. Dieser Bruch der Autoritäten – mit Jeans, amerikanischen Filmen und Jazz - hat mich und die Zeit geprägt". Uwe Timms Roman "Ikarien" ist weit mehr als ein moralischer Appell, sondern feiert auch das Fest des Lebens - mit allem, was dazu gehört. Sein Romanheld Michael Hansen liebt den Tanz, die Frauen, die Musik und den Whiskey. Das alles vor dem Hintergrund der zurückliegenden NS-Hölle und der heute so wichtigen Warnung, dass das Leben von jedem einzelnen Menschen bedeutend und schützenswert ist. "Die Einmaligkeit des Lebens ist verpflichtend, Schmerz und Tod fernzuhalten", sagt Timm. "Unsere ganze Welt muss gehütet werden. Freiheit und Gerechtigkeit sind nicht einfach da, sie müssen immer wieder verteidigt werden. Auch in kleinen, im kleinsten Umfeld."