DOMRADIO.DE: Es ist der erste offizielle Besuch eines türkischen Präsidenten oder Regierungschefs seit Aufnahme der diplomatischen Beziehungen mit dem Heiligen Stuhl 1960 - wie ist es gelaufen?
Stefan von Kempis (Vatican News): Es war überraschend lang und offensichtlich auch in relativ entspannter und freundlicher Atmosphäre, nach allem, was man so gesehen hat. 50 Minuten sind auch eine sehr lange Zeit, so lange hatte noch nicht einmal Donald Trump im letzten Jahr bei seinem Besuch im Vatikan. Es wird geholfen haben, dass sich der Papst und Erdogan schon kennen. Im November 2014 war Papst Franziskus in Istanbul und ist dabei auch nach Ankara in den neuen Präsidentenpalast – den Erdogan sich hat bauen lassen gefahren – empfangen worden. Demnach war es ein nicht so angespanntes Verhältnis bei diesem Besuch.
DOMRADIO.DE: Was waren die Hauptthemen bei den beiden?
von Kempis: Präsident Erdogan hatte vorher in einem langen Interview mit der italienischen Zeitung "La Stampa" wissen lassen, dass er vor allen Dingen über den Status von Jerusalem reden wollte. Wir erinnern uns an Donald Trump's Forderung den Sitz der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen, und dadurch einseitig Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen – ein schwerer Schlag für die Palästinenser. Das hat Erdogan auf dem Plan gerufen, der in diesen Tagen nach der Entscheidung Trumps mindestens einmal mit dem Papst telefoniert hat. Dabei hat sich herausgestellt, Franziskus und der türkische Staatschef ticken zumindest in diesem einen Punkt sehr ähnlich. Sie bestehen beide – aus ihrer unterschiedlichen Perspektive heraus – auf einen internationalen Status für Jerusalem; mit freiem Zugang aller Angehörigen der drei großen Weltreligionen für die jeweiligen heiligen Stätten, die sie in der Heiligen Stadt haben. Da befinden sich Papst und Präsident tatsächlich auf einer Linie.
Wir haben ein offizielles Kommuniqué aus dem Vatikan bekommen, aus dem hervor geht, was sonst noch angesprochen wurde. Da geht es natürlich um die Lage in der Türkei, um die Lebensbedingungen in den verschiedenen katholischen Kirchen und Gemeinschaften in der Türkei, um die Aufnahme vieler syrischer Flüchtlinge in der Türkei und allgemein über die Lage im Nahen Osten. Da hätte ich mir den Nebensatz "vor allem in Syrien" erwartet - der fehlt tatsächlich - da ging es dann schließlich eher um Jerusalem. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie darüber nicht geredet haben, zumal der vatikanische Kardinalstaatssekretär Parolin anschließend auch mit ihm geredet hat.
DOMRADIO.DE: Kritik bekommt Erdogan von Hifsorganisationen wegen des Einmarsches der Türkei in Syrien - wurde diese Militäraktion erwähnt oder sogar vom Papst kritisiert?
von Kempis: Ich kann es mir, wie gesagt, nicht vorstellen, dass weder der Papst, noch Parolin – als sein engster Mitarbeiter – nicht mit Erdogan darüber gesprochen haben. Im offiziellen Kommuniqué fällt das Wort Syrien nicht, sondern es heißt "Die Lage im Osten, mit besonderem Bezug auf den Status von Jerusalem". Das ist für mich das Auffällige heute.
DOMRADIO.DE: Erdogan gilt als Vetreter eines sehr konservativen Islams, formal ist er Politiker und kein Religionsführer. Wie wichtig war dennoch das Thema Dialog zwischen Christen und Muslimen?
von Kempis: Ich glaube nicht, dass Erdogan unbedingt der richtige Ansprechpartner ist, wenn es um den Interreligiösen Dialog geht. Da hat der Vatikan schon lange, gute Gesprächskanäle. Die in Ankara ansässige Religionsbehörde Diyanet ist eine davon, die eine große Rolle für den türkischen Islam spielt; übrigens auch für die türkischen Muslime in Deutschland. Diese Kontakte hat der Vatikan direkt und muss da gar nicht über Erdogan gehen.
DOMRADIO.DE: Wie wird sich das Verhältnis Türkei zum Vatikan nach diesem Treffen entwickeln - lässt sich da schon eine Prognose erstellen?
von Kempis: Mit Prognosen bin ich im Blick auf die Türkei absolut vorsichtig. Wir haben gesehen, was die letzten zwei Jahre an Überraschungen, an Wahlen, an Putsch und auch gegen-Putsch gebracht haben. Das ist schwer zu vorhersagen, wie sich unter diesen Vorzeichen die Staats-Kirchen-Beziehung weiterentwickeln soll. Dem Vatikan ist immer daran gelegen, dass er einigermaßen gute Beziehungen aufrecht erhält im Interesse der Ortskirchen, den kleine Pfarreien in der Türkei. Der Vatikan wird sich hüten große, spektakuläre Schritte zu gehen, die die Türkei verärgern würden.
Das Gespräch führte Milena Furman.