Vatikan-Botschafterin Annette Schavan im domradio.de-Gespräch

Franziskus und die Deutschen

Der Papst hat eine Schwäche für die Deutschen, hat sogar einige Zeit in Frankfurt gelebt. Trotzdem plant er in absehbarer Zeit keine Reise zu uns. Warum gerade die Flüchtlingskrise die Meinung des Papstes geprägt hat, erklärt Vatikan-Botschafterin Annette Schavan.

Papst Franziskus und Annette Schavan / © Romano Siciliani (KNA)
Papst Franziskus und Annette Schavan / © Romano Siciliani ( KNA )

domradio.de: Hat Papst Franziskus im Jahr 2017 eine gute Meinung von Deutschland?

Annette Schavan (Deutsche Botschafterin am Heiligen Stuhl): Die hat er definitiv. Er hat das zum Beispiel bei der Neujahrsanprache zum Ausdruck gebracht, als er Deutschland und einige andere Länder genannt hat, als besondere Orte, die ihre besondere Verantwortung wahrnehmen. Eine Rolle spielt auch, dass er vergangenes Jahr den Karlspreis angenommen hat. Der Papst nimmt keine Auszeichnungen oder Orden an. Die Verleihung des Karlspreises hat er zu einer wichtigen Rede über Europa genutzt. Es gibt also eine gute Atmosphäre derzeit. Es sind sehr stabile Beziehungen, und es sind Beziehungen, die natürlich auch mit Anliegen zu tun haben, die der Papst besonders verfolgt. Denken Sie an seinen Ansatz "an die Ränder" zu gehen, an die Peripherie. Er sagt, die Kirche und die Christen sollen besonders da sein, wo es schwierig ist, wo Menschen verfolgt werden, wo Armut herrscht. Da wo Not ist, muss Kirche sein. Deshalb war die Situation der Flüchtlinge quasi eine Art Prüfstein für ihn, und sicher auch für das Christentum in Europa. Wie ernst nehmen wir die Geschichte vom barmherzigen Samariter? Wie ernst nehmen wir das, was in vielen Kontexten unserer Geschichte und der Heiligen Schrift eine Rolle gespielt hat.

domradio.de: Hat sich die Meinung von Franziskus zu Deutschland durch die Flüchtlingskrise geändert?

Schavan: Er ist dadurch jedenfalls besonders auf uns aufmerksam geworden. Natürlich ist für einen Argentinier der Blick nach Deutschland zunächst einmal der Blick in ein reiches Land. Ein Land mit einer Stabilität, wie sie sozial, kulturell, ökonomisch manchmal wie eine Insel der Seligen wirkt. Ich glaube aber, der wichtige Effekt für ihn war es zu sehen, dieses Land ist nicht ausschließlich mit sich selbst beschäftigt. Deutschland ist bereit zur Verantwortung, und zwar nicht nur auf der Ebene der Politik, sondern auch in der Zivilgesellschaft, die ganz großartig diese Flüchtlings-Situation angenommen und gestemmt hat.

domradio.de: Trotz all der lobenden Worte will er in absehbarer Zeit aber nicht nach Deutschland kommen.

Schavan: So wenig, wie er nach Paris, Madrid oder London fährt. Er ist kein Mann für Staatsbesuche. Er geht, auch was das Reiseprogramm angeht, an die Ränder. Nach Ägypten, oder in wenigen Wochen nach Myanmar und Bangladesch. Orte, wo es ganz besondere Situationen gibt, die zu befrieden sind, oder wo Versöhnungsprozesse laufen. Denken Sie an seine Reise nach Kolumbien. Als er in Bogota gelandet ist, hat der kolumbianische Präsident Santos gesagt: Ohne Papst Franziskus wären die Friedensverhandlungen nicht erfolgreich zu Ende gegangen. Denken Sie auch an die Beziehungen der USA zu Kuba. In solche Situationen hinein geht der Papst, und das ist keine Missachtung eines Landes oder einer Stadt, sondern sein Plan.

domradio.de: Wie steht Franziskus zu Kanzlerin Merkel?

Schavan: Die beiden haben sich schon oft getroffen und haben eine gute Chemie. Sie schätzen sich. Der Papst schätzt ganz besonders ihre Kraft in schwierigster Situation. Es hat ja manche schwierige Situation in den vergangenen Jahren gegeben. Ihre Kraft so zu gestalten, wie Angela Merkel es getan hat. Mit einem klaren Verständnis von Humanität und Barmherzigkeit als Teil von kluger Politik. Umgekehrt schätzt Angela Merkel an diesem Papst, dass er mit solcher Aufmerksamkeit Veränderungen wahrnimmt und neues zulässt, und ein sehr erfahrener Gesprächspartner für viele Politikerinnen und Politiker ist.

domradio.de: Man liest und hört immer wieder, dass Papst Franziskus auch Deutsch spricht. Hilft das den Beziehungen?

Schavan: Er versteht viel. Deutlich mehr als einige kurze Sätze. Er hört auch gerne Deutsch. Natürlich wird man dennoch Teile des Gesprächs immer auch auf Italienisch führen. Aber es ist erstaunlich, dass er nach so langer Zeit, sein Studium in Deutschland ist 50 Jahre her, diese Sprache dennoch in Erinnerung hat, und eben auch praktiziert. Das hat auch damit zu tun, dass er seither immer auch wieder Deutsch gelesen hat. Er hat Hölderlin gelesen, Hesse und Guardini. Das alles hat die schöne Konsequenz, dass wir ihn auch auf Deutsch ansprechen können und schafft eine ganz andere Grundlage für eine Begegnung. 

Das Gespräch führte Renardo Schlegelmilch.


Quelle:
DR