Die neue Verfassung des Vatikans ist nach Ansicht des Experten Marco Politi eine weltanschauliche Wende in der Spitze der katholischen Kirche.
Evangelisation und Wohltätigkeit würden mit der Reform stärker akzentuiert, sagte der Journalist und Publizist dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Glaubenskongregation, ein Pfeiler der Gegenreformation, stehe beispielsweise nicht mehr wie bislang an erster Stelle der vatikanischen "Ministerien", stattdessen habe Papst Franziskus ein neues Ministerium für Evangelisation geschaffen, das er selbst führen wolle.
Keine reine Strukturreform
Die Kurienreform des Heiligen Stuhls tritt an Pfingsten in Kraft. Politi sagte, sie sei weniger eine reine Strukturreform, sondern zeige die Vision des Papstes von einer Kirche, die in der Tradition der ersten Apostel die frohe Botschaft verkünden und im Geist des guten Samariters leben soll. Auch die Prävention von Missbrauch werde in der Verfassung verankert. Die Kommission für den Schutz der Minderjährigen gehöre nun zum Dikasterium für die Glaubenslehre.
Neu sei zudem, dass auch Laien, damit auch Frauen, offiziell die Leitung der neuen zentralen Behörden einnehmen dürfen, der sogenannten Dikasterien, sagte Politi. Davon gibt es 16 in der neuen Verfassung. Drei bisherige Kategorien päpstlicher Behörden - Kongregationen, Räte, Dikasterien - heißen nun alle "Dikasterien".
Politi sagte, dass viele Neuerungen, die jetzt auf dem Papier bestünden, schon seit Jahren praktiziert würden. So gebe es schon länger auch Frauen in den Führungsämtern des Vatikans. Beispielsweise gebe es die Untersekretärin der Bischofssynode, Schwester Nathalie Becquart, mit der in der kommenden Weltsynode erstmals auch eine Frau Stimmrecht habe. Auch die Vize-Regierungschefin des Vatikans ist eine Frau, die Ordensschwester Raffaella Petrini.
Erstmals eine zentrale Verwaltungsbehörde
Als dritten zentralen Punkt der Kurienreform nannte Politi die Reorganisation des Bereichs Wirtschaft und Finanzen im Vatikan, um Korruption und Misswirtschaft vorzubeugen. Erstmals gebe es eine zentrale Verwaltungsbehörde, die zusätzlich durch ein weiteres Gremium kontrolliert werde.
Politi betonte, das Vermächtnis von Franziskus gehe weit über die Kurienreform hinaus. Sein Vermächtnis liege in der Vision eines Christentums, das im Geist der Geschwisterlichkeit mit allen Menschen, gleich welcher Herkunft und Religion, gelebt werde. "Im Geiste dieser Bruderschaft sollen sich alle Menschen für das Gemeinwohl engagieren. Gemeinwohl bedeutet für Franziskus eine inklusive Gesellschaft, in der niemand am Rande gelassen wird.
Zugleich bedeutet es auch das Gemeinwohl des gemeinsamen Hauses, dieses Planeten", sagte Politi. Außerdem gebe es schon seit Jahren einen "Bürgerkrieg innerhalb der katholischen Kirche" zwischen Traditionalisten und Reformern.
Doch Politi zeigte sich überzeugt, dass die großen Perspektiven, die Franziskus der Kirche gegeben habe, auf Dauer bestehen bleiben werden.
Der geschichtliche Trend zur Säkularisation ließe sich jedoch nicht mehr aufhalten - dies treffe alle traditionellen christlichen Kirchen. "Ob man nun Frauen als Bischöfe hat oder Homosexuelle als Priester, oder ob Priester heiraten können - das ändert nichts daran, dass die Kirche immer leerer wird", sagte Politi. Wichtig sei, dass der Papst als Gesprächspartner der modernen Gesellschaft gesehen werde. Franziskus sei in dieser Hinsicht sehr wirkungsvoll.