Vatikan kritisiert Wikileaks-Enthüllungen

Depeschenärger

Der Vatikan hat die Veröffentlichung diplomatischer Depeschen durch Wikileads als "extrem schwerwiegend" bezeichnet. Der britische "Guardian" hatte mehrere Berichte veröffentlicht. Darin geht es etwa um das Verhalten des Heiligen Stuhls zu den Missbrauchsfällen in Irland.

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Mit Stefan von Kempis, RV
 (DR)

Die vatikanische Pressestelle äußerte sich nach dem Bekanntwerden von Berichten der US-Botschaft beim Heiligen Stuhl an das US-Außenministerium. Diese Depeschen spiegelten "natürlich" nur die "Wahrnehmungen und Meinungen" der Schreiber wider, so die Mitteilung der Pressestelle. Die Inhalte könnten weder als Äußerung des Heiligen Stuhls noch als genaue Zitate von Kurienmitarbeitern betrachtet werden.



Berichte über Missbrauchsfälle in Irland

In der Nacht zu Samstag hatte die britische Tageszeitung "The Guardian" mehrere den Vatikan betreffende Berichte von Diplomaten veröffentlicht. Sie handeln unter anderem vom Verhalten des Heiligen Stuhls zu den Missbrauchsfällen in Irland sowie vom Beitrag, den der Papst 2007 zur Befreiung 15 britischer Matrosen im Iran geleistet habe. Zudem enthalten die US-Botschaftsberichte kritische Äußerungen über Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone.



Auch die Zeitungen "El Pais" und "La Repubblica" hatten vertrauliche Berichte von US-Diplomaten veröffentlicht, die den Vatikan als "italienisch geprägt, kryptisch und antiquiert" schildern. Aus den Depeschen ergibt sich, so urteilt "El Pais", ein "Kulturschock zwischen einem modernen, demokratischen Land und einem monarchischen Machtsystem, das hermetisch und jahrhundertealt ist". Die US-Diplomaten sähen es allerdings als wichtig an, den Vatikan "als Verbündeten zu haben".



Kritik: "Kodierte" Sprache an der Vatikanspitze

"Not spin city" - eine Stadt, die nicht kommuniziert. So schildert eine Stimme aus der US-Botschaft beim Heiligen Stuhl im Februar letzten Jahres den Vatikan. Sie zeigt sich besorgt darüber, dass es im Umfeld des Papstes nur wenige gebe, die englisch sprächen, und beklagt "das Fehlen von abweichenden Meinungen". In einem anderen Bericht vom Januar resümiert allerdings dieselbe Berichterstatterin: "Der Vatikan ist ein wunderbarer Verbündeter, der allerdings Nachhilfe in Public Relations bräuchte." Die Klage über die schlechte Außendarstellung des Heiligen Stuhls zieht sich als roter Faden durch die Depeschen - so "kodiert" sei die Sprache an der Vatikanspitze, "dass niemand anderes sie dechiffrieren kann". Der israelische Botschafter etwa habe mal ein offizielles Statement bekommen, dass aus Kuriensicht "eine positive Botschaft an Israel" enthielt; doch weil diese Botschaft "dermaßen verschleiert" war, habe der Diplomat sie beim besten Willen nicht verstanden.



Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone schildern die Kabelberichte als einen "Yes Man" - einen Jasager. Er sei zu oft außerhalb von Rom unterwegs und beschäftige sich lieber mit spirituellen Fragen als mit Außenpolitik; "nicht wenige" hofften, dass er bald in Ruhestand gehe. Nur sehr vorsichtig urteilen die US-Analysen über Papst Benedikt: Er "irritiert manchmal Politiker und Journalisten, indem er das tut, was er für das Beste für die Kirche hält". Beeindruckt sind die Amerikaner von Papstsprecher Federico Lombardi: Dieser habe sogar einen Blackberry. Das sei "eine Anomalie in einer Kultur, wo viele führende Gestalten noch nicht mal eine E-Mail-Adresse haben". Allerdings übe Lombardi keinen direkten Einfluß auf Benedikt XVI. aus und veröffentliche Statements eher, als dass er ihnen Form gebe.



Benedikt XVI. angeblich gegen EU-Beitritt der Türkei

Interessant in den als "geheim" klassifizierten US-Depeschen sind außenpolitische Schlaglichter: Benedikt XVI. sei eigentlich gegen einen Beitritt der Türkei zur EU, der Vatikan hoffe auf einen Dialog der USA mit Kuba, und eine Stimme aus dem vatikanischen Staatssekretariat sehe Venezuelas Präsidenten Hugo Chavez als wahren Erben von Fidel Castro.



Schmerzlich sind die Wikileaks-Enthüllungen, die die Missbrauchsskandale an kirchlichen Einrichtungen in Irland betreffen: Nach Darstellung der US-Diplomaten sei der Vatikan über die so genannte Murphy-Untersuchungskommission verstimmtsich gewesen. Die Art und Weise, wie die Kommission direkt, ohne die üblichen diplomatischen Kanäle zu nutzen, Anfragen an den Heiligen Stuhl richtete, habe diesen "verärgert". Allerdings brachten die "Vatikan-Kontakte" gegenüber ihren Gesprächspartnern an der US-Botschaft "sofort tiefes Mitgefühl für die Opfer von Kindesmissbrauch zum Ausdruck und betonten, es sei oberste Priorität, zu verhindern, dass sich sowas wiederhole".