DOMRADIO.DE: Darf bei so alten Kreuzsplitter-Reliquien an der Echtheit gezweifelt werden?
Ulrich Nersinger (Vatikanexperte): Das muss man eigentlich. Das ist auch nichts Schlimmes, wenn man Zweifel äußert. Aber ich denke, bei einer solchen Reliquie, die einem Monarchen geschenkt wird, hat der Vatikan wohl darauf geachtet, dass sie aus einer der ältesten Quellen stammt.
Dabei ist vor allen Dingen der Symbolcharakter entscheidend, der mit diesem Kreuzsplitter verbunden ist. Es ist die Erinnerung an den Kreuzestod Jesu Christi, also praktisch ein Bekenntnis zu Christus als eine Tat für die Erlösung der Menschheit. Meiner Meinung nach ist das der Hauptsymbolcharakter, den man damit verbinden sollte.
DOMRADIO.DE: Kann man sagen, dass diese Krönung von Charles auch für die Kirche einen absoluten Seltenheitscharakter hat?
Nersinger: Ja, zumindest für Europa ist sie die letzte Krönung, die bei einem Monarchen geschieht. Davor gab es bis 1963 noch die Papstkrönung. Die hat Papst Johannes Paul I. dann im Jahr 1978 nicht mehr vornehmen lassen. Von daher ist eine Krönung mit sakralem Charakter etwas Außergewöhnliches.
DOMRADIO.DE: Die Kreuzreliquien werden in das Kreuz von Wales eingearbeitet, das bei der Zeremonie am 6. Mai dann die Krönungsprozession anführen soll. Wie groß ist die Bedeutung von diesem Geschenk?
Nersinger: Sie ist in mehrfacher Hinsicht groß. Man muss sich einmal vor Augen halten, dass zunächst päpstliche Ehrengeschenke eine ganz besondere Form waren, dazu gehört auch das Agnus Dei. Dabei waren Reliquien seit Elizabeth I. verpönt, sogar verboten. Elizabeth I. hat von "päpstlichem Plunder" gesprochen und vor diesem Hintergrund ist die jetzige Annahme durch den König etwas ganz Besonderes.
Noch im 20. Jahrhundert haben die Päpste zwar alle Legationen, also Gesandtschaften nach London geschickt, wenn eine Krönung anstand, aber diese Gesandtschaften haben an der Krönungsmesse nicht teilgenommen.
Das war damals noch nicht üblich. Heute aber wird wahrscheinlich nicht nur eine päpstliche Gesandtschaft teilnehmen, sondern der Papst wird durch diese Kreuzreliquie praktisch selbst an der Krönung teilnehmen, wenn man es ganz stark ausdrücken möchte.
Denn dieses Prozessionskreuz wird ja der Krönung vorangetragen und ist bei der Krönung dabei. Aus meiner Sicht ist das auch ein sehr starkes ökumenisches Zeichen.
DOMRADIO.DE: Ist bekannt, wie Charles als weltliches Oberhaupt der anglikanischen Kirche zum katholischen Papst steht?
Nersinger: Ich glaube, sein Verhältnis zu Rom ist ganz gut. Er ist weitaus ökumenischer eingestellt als seine Vorgänger. Obwohl sich auch seine Mutter sehr stark bemüht hat, einen Ausgleich mit den anderen Konfessionen zu finden.
Ich kann mir gut vorstellen, dass Charles der katholischen Kirche, aber auch anderen Konfessionen und Religionsgemeinschaften sehr offen gegenübersteht und sie in das Leben des Königreiches und in sein eigenes Leben einbinden möchte.
Das Interview führte Tobias Fricke.