DOMRADIO.DE: Das war eine ganz feierliche Angelegenheit, damals am 12. Februar 1931, als Radio Vatikan erstmals auf Sendung ging. Wie müssen wir uns das genau vorstellen?
Ulrich Nersinger (Vatikanexperte und Buchautor): Ja, man muss vielleicht vorausschicken, dass der Papst schon viel früher einen Radiosender haben wollte, dies aber an an den politischen Dimensionen scheiterte. Denn es gab ja noch keine Versöhnung zwischen Italien und dem Heiligen Stuhl. Das war noch die Zeit nach dem Ende des alten Kirchenstaates.
Erst 1929 entstand der Vatikanstaat. Doch schon 1925 hatte der Papst Kontakte zum Nobelpreisträger und Radiopionier Marconi geknüpft, und man hat schon alles vorbereitet. Und als dann die Vatikanstadt gegründet war, hat man damit angefangen.
Der Papst war hoch interessiert an diesen Sachen, er war auch technisch versiert. Die Arbeiter und Angestellten, die damit beschäftigt waren, hatten so ein kleines Spitzelsystem entwickelt, weil der Papst dazu neigte, spontan an der Arbeitsstätte aufzutauchen und sich die Arbeiten, die zur Gründung von Radio Vatikan führten, persönlich anzusehen.
Wir haben eine ganze Reihe von Bildern, wo wir den Papst mit einem Kopfhörer sehen, wie er die Apparate inspiziert. Er hat sich wirklich darüber informiert. Am 12. Februar 1931 war dann Premiere. Und dann ging es richtig los.
DOMRADIO.DE: Und was hat Papst Pius XI. bei der Premiere des Radio Vatikan gesagt?
Nersinger: Er wies auf die Bedeutung des Senders hin. Wir wissen ja, dass damals noch nicht viele Leute Radioapparate hatten. Man hat dann in katholischen Universitäten, Ordenshäusern und Pfarrsälen Radios hingestellt. Sogar in Gotteshäusern hatte man provisorische Radioapparate. In der Kathedrale von Westminster zum Beispiel lauschten mehr als 3.000 Gläubigen den Worten des Papstes.
DOMRADIO.DE: Und damit hatte der Vatikan also eine eigene Sendestation?
Nersinger: Ja, und er hat sie sogar doppelt genutzt. Er hat sie erst einmal zur Missionierung genutzt, aber er hat sie auch zu bestimmten Zeiten dazu benutzt - da war Pius XI. sehr clever - die verschlüsselte Korrespondenz mit den päpstlichen Gesandtschaften in aller Welt zu führen.
Das war schon fast revolutionär, was man da gemacht hat. Wichtig war die religiöse und politische Dimension. Da gab es auch einige Highlights.
DOMRADIO.DE: Welche waren denn das? Was waren diese Highlights?
Nersinger: Ja, zum Beispiel, dass der Vatikan schon 1939 eine mehrstündige Liveübertragung hatte. Das war die Krönung von Pius XII. Und dann natürlich im Jahr 1939, als der Krieg drohte, seine berühmte Ansprache, in dem er aufruft, dass mit dem Frieden nichts verloren ist.
Und dann zeigte sich, als der Krieg begann: Das Reichspropagandaministerium im Deutschen Reich fürchtete Radio Vatikan weitaus mehr als die BBC in der seriösen Berichterstattung. Und Goebbels hatte den Auftrag gegeben, jede Sendung sich genau anzuhören und ihm mitzuteilen, was der Papst sagte.
DOMRADIO.DE: Sie sprachen es schon an, diese Frequenz von Radio Vatikan wurde auch für geheime Kommunikation verwendet?
Nersinger: Ja, eben um den Kontakt mit Nuntiaturen in aller Welt schnell aufrechtzuerhalten. Das hat man mit mit verschiedenen Codes, Chiffrierungen, gemacht und das war damals fast ein Novum. Der Vatikan war da sogar Vorreiter.
DOMRADIO.DE: Jetzt kann auch Radio Vatikan bald auf eine 100-jährige Geschichte zurückblicken. Was waren denn - außerhalb von Papst Pius XII.- wichtige Ereignisse und Übertragungen?
Ulrich Nersinger (Vatianexperte): Da war etwa wieder eine Ansprache gegen den Krieg. Das war die berühmte Ansprache von Papst Johannes XXIII., die er über Radio Vatikan in dem Konflikt zwischen den USA und der Sowjetunion machte. Er hatte einen Friedensaufruf an die beiden Streitparteien gerichtet.
Interessanterweise zielt dieser Aufruf auf mehr Boden in der Sowjetunion. Die Prawda hat dann sogar einen Tag später den Friedensaufruf des Papstes gedruckt und Nikita Chruschtschow erklärte später einmal, die Worte des Papstes hätten ihn und die Russen sehr beeindruckt – mehr beeindruckt als wahrscheinlich die Katholiken oder die Bevölkerung der USA.
Das Interview führte Tim Helssen.