Erstmals sitzt auch ein Kardinal auf der Anklagebank. Die Beschuldigten müssen sich unter anderem wegen Veruntreuung, Geldwäsche und Betrug im Zusammenhang mit dem Immobiliendeal im Londoner Stadtteil Chelsea verantworten. Der Prozess könnte sich Beobachtern zufolge über Jahre ziehen. Die nächste Verhandlung ist für den 5. Oktober angesetzt.
Im Mittelpunkt des Skandals steht der Kauf eines Geschäftshauses in der 60 Sloane Avenue in London, wie aus einem Bericht des Medienportals «Vatican News» hervorging. Dass der Vatikan in Immobilien investiert ist nicht ungewöhnlich, denn damit erwirtschaftet der Staat Einnahmen. Der Vatikan kaufte das Haus dem Bericht zufolge allerdings letzten Endes für einen unangemessen hohen Preis, weil der Wert der Immobilie wohl überschätzt war.
Im Zuge des Deals wurden die Vatikan-Vertreter zudem offenbar von einem italienischen Investmentbanker über den Tisch gezogen, als sie in den vollen Besitz des Gebäudes gelangen wollten. Der Banker behielt beim Kauf vertraglich Anteile mit Stimmrechten, wodurch der Vatikan quasi die Entscheidungsbefugnis für die Immobilie verlor. Der Investmentbanker verlangte laut des "Vatican News"-Berichts daraufhin 23 Millionen Euro für die Rückgabe seine Anteile. Nach Verhandlungen bezahlte der Vatikan schließlich 15 Millionen Euro dafür.
Rund um die zahlreichen Geschäfte unter anderem im Jahr 2018 sollen zudem Provisionen und Spesen geflossen sein. Insgesamt dürfte der Vatikan für das Geschäft einen dreistelligen Millionenbetrag ausgegeben haben. Für den Kauf sollen auch Spendengelder aus dem Peterspfennig, einer jährlichen Kollekte unter katholischen Gläubigen weltweit, verwendet worden sein.
Ermittler kamen dem verlustreichen Geschäft im Sommer 2019 auf die Schliche. Das Istituto per le Opere di Religione (IOR), auch Vatikanbank genannt, wurde bei finanziellen Aktivitäten misstrauisch. Die Behörden ermittelten daraufhin und es folgte eine Razzia beim Staatssekretariat. Die Akten in der Sache umfassen mittlerweile mehrere Hundert Seiten. Neben den zehn Personen erhob die Justiz auch Anklage gegen vier Firmen. Durch die Untersuchungen kam ein international weit verstricktes Netz zum Vorschein, das die Ermittler unter anderem in die Vereinigten Arabischen Emirate, Luxemburg und die Schweiz führte.
Im Zuge des gesamten Immobiliengeschäfts in London wurden immer mehr Personen aus vatikanischen Behörden, aber auch von außerhalb beteiligt. Gegen Kardinal Giovanni Angelo Becciu erhob die Justiz Anklage wegen Veruntreuung und Amtsmissbrauch. Der 73-Jährige bestritt die Vorwürfe: Er sei das Opfer einer ausgeheckten Machenschaft zu seinem Schaden, hieß es in einer Mitteilung Anfang Juli. Er soll auch eine mitangeklagte Vertraute mit Provisionen ausgestattet haben.
Nach dem Prozess am Dienstag erklärte Becciu, der Papst habe gewollt, dass er zum Prozess komme, und er sei gekommen. Er vertraue darauf, dass die Richter die Fakten ordentlich begutachten und seine Unschuld anerkennen werden. Gleichzeitig sagte er, er werde eine ehemalige Beraterin im Vatikan und einen früheren Mitarbeiter im Staatssekretariat wegen falscher Anschuldigungen während der Ermittlungen anzeigen lassen. Mit ihm sitzen außerdem frühere Bedienstete vatikanischer Behörden sowie Finanzmanager auf der Anklagebank.
Kardinal Becciu hatte im Zuge des Skandals seine Ämter verloren. Zuvor war er unter anderem Substitut des mächtigen Staatssekretariats im Vatikan - eine zentrale Position in der Kurienverwaltung. In seine Zuständigkeit fielen auch finanzielle Angelegenheiten. Das Staatssekretariat tritt in dem Prozess als Nebenkläger auf. Papst Franziskus hatte nach dem Skandal die Finanzströme in Vatikan umgebaut und dem Staatssekretariat die Verwaltung von Kapital- und Immobilienwerten entzogen. (dpa, 27.07.2021)