Venezolanische Kirche kritisiert Ex-Präsident Chavez

"Ein Volk der Bettler geschaffen"

Lange Schlangen vor den Supermärkten. Menschen sterben, weil Medikamente fehlen. Venezuela leidet unter einer schweren Wirtschaftskrise. Der verstorbene Präsident Chavez trägt dafür eine Mitschuld, so der venezolanische Erzbischof Padron.

Menschen in Caracas stehen Schlange (Adveniat)
Menschen in Caracas stehen Schlange / ( Adveniat )

Stephan Neumann (Pressesprecher des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat):  Der Wert des Bolivars verfällt ebenso wie die Preis für Erdöl an den Weltmärkten. Venezuela erlebt eine ungekannte Wirtschaftskrise…

Monseñor Diego Padron (Vorsitzender der Venezolanischen Bischofskonferenz): Die Krise, die Venezuela erlebt, ist nicht nur eine wirtschaftliche, sondern in erster Linie eine ethische. Venezuela hat genügend materielle Ressourcen und fähige Bürger, um ein Volk mit 30 Millionen Menschen zu ernähren und zu versorgen. Die öffentliche Verwaltung verschwendet jedoch die Mittel es die tiefsitzende Korruption ist weit verbreitet. Nur ein Beispiel: Mit den 30 Milliarden US-Dollar, die außer Landes geschafft wurden, könnte man die gesamten Auslandsschulden Venezuelas bezahlen.

Neumann: Was ist der Grund für die ethische Krise?

Padron: Die fehlende Gewissensbildung. Fällt die Macht in die Hände von Menschen, die eine materialistische Sicht auf das Leben haben, eigenen sie sich die Ressourcen an, die zur Verfügung stehen. Und Venezuela ist reich an Ressourcen. Fehlende Gewissensbildung führt dazu, dass die Mächtigen ihre Ämter benutzen, um sich zu bereichern. Wir haben als Kirche diese Missstände immer wieder angeprangert. Insbesondere diejenigen, die öffentliche Ämter bekleiden, müssen sich ethischer verhalten.

Neumann: Chavez war 1998 mit dem Versprechen angetreten, die armen Schichten am Reichtum der wenigen Oligarchen zu beteiligen. Ist bei den Armen etwas angekommen?

Padron: Die Armen waren für Chavez ein Vorwand. Aus der guten Idee, die Armen an den Ressourcen des Landes teilhaben zu lassen, die ihnen jahrelang vorenthalten worden waren, ist ein Missbrauch der Armen geworden, um die eigene Macht maßlos zu konzentrieren. Der Chavismus hat ein Volk der Abhängigen, der Bettler geschaffen. „Papa Staat“ gibt alles. Die Menschen erwarten von ihm das Haus, die Möbel, die Küche, sämtliche Dinge, des täglichen Bedarfs, ohne dafür arbeiten zu müssen. Menschen die Verantwortung für ihr tägliches Leben abzunehmen, heißt, ihr Gewissen zu korrumpieren.

Neumann: Am 6. Dezember hat das Volk „Papa Staat“ zumindest bei der Parlamentswahl einen Denkzettel verpasst. Sind von der Opposition echte Alternativen zu erwarten?

Padron: Das Volk hat gesagt: Wir wollen dieses System nicht mehr! Wir wollen nicht länger abhängig sein! Wir begnügen uns nicht länger mit den Krümeln, die vom Tisch von Papa Staat abfallen! Es gibt Werte, die uns wichtig sind wie Ehrlichkeit, Arbeit, Familie, Studium, Leistung. Diese Entscheidung des Volkes ist eine Quelle der Erneuerung. Die Kirche möchte das Volk dabei begleiten. Deshalb organisiert sich die katholische Kirche selbst neu, um sozial aktiver zu werden. Dabei beschränken wir uns nicht nur auf die Nothilfe, die aktuell sicherlich angezeigt ist. Wir wollen das Volk auch mit Bildungsprogrammen unterstützen, damit es selbst wieder Protagonist seiner Entwicklung werden kann.

Neumann: Welche integren Persönlichkeiten gibt es aufseiten der Opposition, die nicht nur mit einer guten Idee starten und sobald sie an den üppigen Töpfen des Erdöls sitzen, sich korrumpieren lassen?

Padron: Mit dem Parteienbündnis „Mesa de Unidad Demokratica (MUD)“ („Tisch der demokratischen Einheit“) hat die Opposition gezeigt, dass sie zusammenhalten muss und kann. Denn ein geteiltes Volk erreicht seine Ziele nicht. Trotz aller Unterschiede ist die Opposition geeint und gibt damit dem Volk ein wichtiges Beispiel. Während die Regierung nur einen Führer kennt, haben das Volk und die Opposition – ganz gleich ob sie im Gefängnis sind oder nicht – viele, die Leitungsverantwortung übernehmen. Das ist ein Reichtum.

Neumann: Brechen die alten Konflikte nicht wieder auf, sobald der einigende Gegner fehlt?

Padron: Das Risiko besteht. Trotzdem glaube ich, dass den Demokraten bewusst ist, wie wichtig es ist, bei allen Differenzen weiter zusammenzuarbeiten. Demokratie heißt, gemeinsam Ziele verfolgen, auch wenn man von unterschiedlichen Positionen aus sich auf den Weg dorthin macht.

Neumann: Vor den Geschäften bilden sich lange Schlangen, Menschen sterben, weil sie keine Medikamente erhalten. Wie kann die Kirche den Menschen in dieser Situation der existentiellen Not helfen?

Padron: Wir können die fehlende Versorgung der Menschen mit Medikamenten und Lebensmitteln und Medikamenten nicht umfassend lösen. Die Kirche kann aber mit ihrer Infrastruktur, mit den verschiedenen Gruppen in den Pfarreien, mit den Ordensgemeinschaften und auch mit ihren fünfzig Gesundheitszentren im Land sicherstellen, dass die Hilfe aus dem Ausland – ob aus anderen lateinamerikanischen Ländern, den Vereinigten Staaten oder Europa – bei den Menschen ankommt. Das begleiten wir mit einem Monitoring, das auf Transparenz, Ehrlichkeit und Sparsamkeit Wert legt.

Neumann: Papst Franziskus hat sich sehr dafür eingesetzt, dass es in Kolumbien zu Verhandlungen zwischen Regierung und Rebellen kam, dass Cuba und die USA wieder miteinander sprechen. Hoffen Sie in ihrem so polarisierten Land ebenfalls auf eine solche Initiative des Landes?

Padron: Natürlich können Papst Franziskus und der Heilige Stuhl helfen, damit es zu einem Treffen und einem Dialog zwischen Regierung und Opposition kommt, damit eine Amnestie für die politischen Gefangenen möglich wird, damit die Spaltung des Landes überwunden wird, damit die Fehler korrigiert werden auf ökonomischer wie auf ethischer Ebene.


Erzbischof Diego Padron (Adveniat)
Erzbischof Diego Padron / ( Adveniat )
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