Verein "Armut und Gesundheit": Medizinische Unterstützung für Arme

Wenn Armut krank macht

Immer mehr Menschen fallen durch die Lücken in unserem Gesundheitssystem. Mit dem Verein "Armut und Gesundheit" will Gerhard Trabert eine medizinische Versorgung für arme Menschen gewährleisten. Dabei stellt er auch Forderungen an die Politik.

Wegwerf-Ware: Medikamente / © Matthias Hiekel (dpa)
Wegwerf-Ware: Medikamente / © Matthias Hiekel ( dpa )

domradio.de: Sie bieten eine medizinische Sprechstunde für Menschen in einer prekären Lebenssituation an. Wer kommt da alles? 

Gerhard Trabert: (Arzt und Gründer des Vereins "Armut und Gesundheit"): Wir haben zwei Formen der Versorgungsstruktur. Zum einen haben wir seit über 20 Jahren ein so genanntes aufsuchendes Versorgungsmodell. Das ist ein fahrendes Sprechzimmer, ein Arztmobil. Damit sind wir auf die Straße, an Parkhäuser, an öffentliche Plätze gefahren. Primär war unsere Zielgruppe wohnungslose Menschen, die auf der Straße gewohnt haben und wohnungslose Menschen in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe. Mittlerweile ist das Spektrum deutlich größer geworden.

Es kommen immer mehr Menschen zu uns. Es sind auch immer mehr Menschen zu diesem Arztmobil gekommen. Es ist die alleinerziehende Mutter die Zuzahlungen nicht zahlen kann; Es ist der Haftentlassene, der nicht sofort versichert ist; Es ist der Privatversicherte, der die Beiträge nicht mehr zahlen kann; Es sind Menschen aus Osteuropa, die hier Arbeit suchen und auch geflüchtete Menschen, die auch keinen ausreichenden Versichertenschutz haben. Und da haben wir vor vier Jahren angefangen eine Klinik zu installieren. Über 30 Ärztinnen und Ärzte, Sozialarbeiter, Krankenschwestern und Hebammen arbeiten dort mit, um hier ein weiteres und differenziertes Versorgungsmodell zu kreieren. Das ist leider notwendig in diesem reichen Land. 

domradio.de: Das klingt nach einem Projekt, das nicht mal eben zu stemmen ist. Allein die ganzen Ärzte, Pflegekräfte, Medikamente - alles was dazu gehört: Wie wird das finanziert? 

Trabert: Wir sind nur spendenfinanziert. Das ist uns aber auch wichtig. Denn neben der praktischen Arbeit ist es uns absolut wichtig immer wieder zu skandalisieren, dass wir eine Aufgabe übernehmen, die eigentlich der Staat übernehmen müsste. Die Versorgungsstruktur wird immer defizitärer, wir haben immer mehr Lücken im Gesundheitssystem. Immer mehr Menschen erhalten keine adäquate medizinische Versorgung. Weil wir eben auch politisch aktiv sind - wir sind in keine Partei, aber diese Missentwicklung in unserem Staat beanstanden wir – wollen wir von kommunalen oder Landes- oder Bundeszuschüssen unabhängig sein. Das bedeutet auf der anderen Seite: Wir sind von Spenden abhängig. Wir erfahren aber da eine große Solidarität in der Bevölkerung. Ich glaube, viele Menschen spüren, dass sich hier etwas fehlentwickelt und unterstützen uns in unserer Arbeit. Wir haben im letzten Jahr zum Beispiel über 15 000 Euro in Medikamente investiert, weil viele Menschen eben nicht mehr in diesem System aufgefangen werden, aber dennoch aus humanitären Gründen – und sie haben das Recht auf diese Versorgung – diese Unterstützung brauchen. 

domradio.de: Jetzt wird sich eine neue Bundesregierung zusammenfinden. Sie haben gesagt, Sie sind auch politisch aktiv. Was fordern sie konkret von der künftigen Regierung, damit Arme bei uns in Deutschland nicht früher sterben müssen?

Trabert: Ich würde sagen, fokussiert sind es drei Bereiche. Der erste Bereich kostet kein Geld: Es geht um die Kommunikation, über das Phänomen Armut reden in unserer Gesellschaft. Immer wieder erleben wir eine Schuldzuweisung. Es wird entwürdigend und respektlos über Menschen am Rande unserer Gesellschaft gesprochen. Das ist uns sehr wichtig. Zum Beispiel der Begriff "sozial schwach". Die Menschen sind nicht sozial schwach. Sozial schwach ist der Unternehmer oder der Profisportler, der ins Ausland geht und keine Steuern mehr zahlt. Das ist sozial schwach. Die betroffenen Menschen sind sozial häufig sehr kompetent.

Das zweite ist: Jetzt muss etwas geschehen. Wir haben große Versorgungslücken. Das heißt, dass  man niedrigschwellig aufsuchend zu den betroffenen Menschen gehen muss. Ob das jetzt die Straße ist, eine Sammelunterkunft für geflüchtete Menschen oder ein sozialer Brennpunkt. Dort muss man Prävention- oder Gesundheitsversorgungsmaßnahmen installieren. Man braucht zum Beispiel auch im Jobcenter eine Beratungsstelle zum Thema Gesundheit.

Und das dritte wäre die Struktur. Wir müssen wieder ein anderes Gesundheitssystem etablieren. Das heißt zum Beispiel die Befreiung von Zuzahlungen für Menschen, die von Hartz IV, von sozialen Transferleistungen leben müssen. Wir brauchen wieder die Parität, was die Finanzierung angeht, das heißt Arbeitgeber und Arbeitnehmer zahlen den gleichen Beitrag. Da sind ja jetzt die Arbeitgeber sehr stark entlastet. Und wir brauchen keine weitere Privatisierung. Das ist ja eine ganz klare Tendenz. Wenn sie über 18 Jahre alt sind, wird ihnen keine Brille mehr von der Krankenkasse finanziert. Das sind ganz klare Fehlentwicklungen, die müssen zurück geschraubt werden. Das fordern wir schon seit Jahrzehnten von der Politik und es macht uns betroffen und wütend, diese Ignoranz diesem Thema gegenüber immer wieder zu spüren. Arme Frauen sterben acht Jahre früher und arme Männer zehn Jahre früher als Wohlhabende in unserer Gesellschaft. Das ist ein Skandal und daran ist auch die Politik schuld.

Das Interview führte Silvia Ochlast.


Quelle:
DR