DOMRADIO.DE: Welche Eindrücke haben Sie denn in den vergangenen zwölf Monaten in Israel und speziell in Jerusalem, wo sie sich hauptsächlich aufhalten, gewonnen?
Dr. Georg Röwekamp (Repräsentant des Vereins vom Heiligen Land): Im Gegensatz zu dem, was das Bild des Nahen Ostens – besonders auch Jerusalems - für viele Leute prägt, gibt es dort auch so etwas wie einen friedlichen Alltag. Ich lebe nun etwa seit einem Jahr mit meiner Frau 150 Meter vom Damaskus-Tor entfernt, und wir haben uns dort nicht einen Moment wirklich unsicher gefühlt.
Natürlich sind viele der politischen, kirchenpolitischen und religiösen Probleme nicht wirklich gelöst. Aber trotzdem gibt es diesen Alltag. Jerusalem war und ist für mich die faszinierendste Stadt der Welt.
DOMRADIO.DE: Sie haben gerade die religiösen Spannungen angesprochen. Jetzt ist es tatsächlich so, das alle drei großen monotheistischen Weltreligionen auf Jerusalem einen Anspruch erheben, was dann auch immer wieder zu Spannungen führt. Wie arrangieren sich die Menschen auf so engem Raum, wenn es hart auf hart kommt?
Röwekamp: Die Tatsache, dass dieser gemeinsame Anspruch da ist, führt natürlich immer wieder zu Spannungen. Aber auch da gilt: Der Alltag ist in der Regel konfliktfreier als man sich das vorstellen kann. Nur sobald die kleinste Kleinigkeit irgendwo passiert, ist es sofort in allen Medien und die gesamte Welt denkt, Jerusalem ist im Aufruhr. Andererseits gibt es auch eindrucksvolle Zeichen der Zusammenarbeit, zum Beispiel auch zwischen den Konfessionen.
Sie haben ja auch schon über die gemeinsame Renovierung der Grabesädikula in der Auferstehungskirche berichtet. Das ist etwas, was man vor einigen Jahren gar nicht für möglich gehalten hätte. Also auch da gibt es, wenn man genauer hinschaut, positive Beispiele der Zusammenarbeit.
Im Alltag gibt es trotz all der Schwierigkeiten auch Freundschaften zwischen Muslimen, Christen und Juden. Das sind die schönen Geschichten, die manchmal keine Nachricht wert sind.
DOMRADIO.DE: Israel ist der einzige Staat im Nahen Osten nach westlichem Vorbild und gleichzeitig oft Zielscheibe einiger seiner arabischen Nachbarn. Wie bewerten Sie die politischen und militärischen Maßnahmen zur Abwehr oder Prävention, die hier oft kontrovers diskutiert werden?
Röwekamp: Das ist etwas, was unseren Alltag natürlich mitbestimmt. Wenn wir unsere Freunde oder Projektpartner in Bethlehem besuchen, ist da ganz besonders die Mauer augenfällig, die zwischen den Städten Bethlehem und Jerusalem errichtet worden ist.
Israelische Bekannte weisen darauf hin, dass es weniger Selbstmordanschläge gibt, seit es diese Mauer gibt. Damit haben sie in gewisser Weise Recht. Unsere palästinensischen Freunde dagegen verweisen darauf, dass dadurch manche Gebiete zu einem Freiluftgefängnis werden.
Außerdem liegt diese Mauer eben nicht auf der ehemaligen Waffenstillstandslinie. Auf diese Weise werden mehr oder weniger offen große Teile palästinensischen Gebietes einfach nach Israel eingemeindet. Dadurch wird zwar vermeintlich die Sicherheit gesteigert, aber auch eine neue Form von Ungerechtigkeit geschaffen.
DOMRADIO.DE: Die Christen in Israel und Palästina sitzen häufig zwischen den Stühlen: Sie sind eine Minderheit. Das zum Heilig-Land-Verein gehörende Pflegeheim "Beit Emmaus" liegt zwölf Kilometer von Jerusalem entfernt und ist auch vom israelischen Mauerbau betroffen. Wie funktioniert das Leben dort?
Röwekamp: Das Leben vor Ort funktioniert auch erstaunlich konfliktfrei, obwohl die Schwestern, die das Heim im Auftrag und in Zusammenarbeit mit dem deutschen Verein vom Heiligen Land betreiben, in einer rein muslimischen Umwelt leben. Sie sind dort hoch anerkannt.
Selbst von weit her kommen Leute, die sagen: "Ich suche einen Platz für meine alt werdende Frau, weil hier der einzige Ort ist, wo Christen und Muslime gleichermaßen geliebt werden und weil wir wissen, dass sie hier in guten Händen sind."
Der Alltag für Besucher ist nicht ganz so einfach, weil sie jeweils über die Checkpoints müssen, sowohl beim Reinfahren als auch beim Rausfahren. Dadurch gehört dieses Gebiet zu denen, die auch für Unterstützer längst nicht mehr so einfach zu erreichen sind wie in vergangenen Jahren.
DOMRADIO.DE: Seit einigen Wochen haben wir einen neuen US-Präsidenten, der sich sehr widersprüchlich geäußert hat mit Blick auf Israel. Inwieweit beeinflusst das Ihre Arbeit?
Röwekamp: Einen direkten Einfluss merken wir noch nicht, aber es verwirrt natürlich auch viele Leute vor Ort. Erstaunlicherweise haben manche durchaus auch auf den neuen Präsidenten ihre Hoffnungen gesetzt, weil sie vom alten Präsidenten enttäuscht waren.
Jetzt sind sie vom neuen Präsidenten teilweise schon ähnlich enttäuscht, weil dieses Aufgeben des Bestehens auf einer Zweistaatenlösung für viele Leute eher ein Einknicken vor Israel ist. Das gibt den Israelis neue Möglichkeiten, den Siedlungsbau auszuweiten, der auch aus meiner Sicht ein großes Hindernis für den Friedensprozess ist.
DOMRADIO.DE: Es gibt ja viele Leute in Deutschland, die gern in das Heimatland Jesu reisen und die historischen Stätten sehen würden. Gleichzeitig haben sie aber Angst, wenn sie von Attentaten und Spannungen hören. Können diese Menschen guten Gewissens nach Israel ins Heilige Land reisen?
Röwekamp: Ja. Ich denke, Reiseunternehmen würden diese Reisen gar nicht erst durchführen, wenn tatsächlich eine Gefährdung bestehen würde. Wenn es eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes gäbe, dürften sie das auch gar nicht.
Und es ist wie so oft: Vor Ort geht es ihnen genauso wie meiner Frau vor ein paar Jahren, als sie mich das erste Mal begleitet hat. Nach einer Woche wurde sie von Freunden gefragt: "Wie war es denn so?" Sie sagte dann: "Ach, ich hab ganz vergessen, Angst zu haben." Denn vor Ort ist das Leben oft anders, als es sich über den Fernsehbildschirm darstellt.
Das Interview führte Hilde Regeniter.