Verletzte OB-Kandidatin Reker gewinnt Wahl

Köln hat gewählt

Die bei einer Messerattacke schwer verletzte Henriette Reker wird neue Oberbürgermeisterin von Köln. Die parteilose Kandidatin lag bei der Auszählung am Sonntag mit 52,7 Prozent der Stimmen deutlich über der absoluten Mehrheit.

Die Wahl in Köln ist überschattet  / © Oliver Berg (dpa)
Die Wahl in Köln ist überschattet / © Oliver Berg ( dpa )

Nach dem Messerangriff auf die parteilose Oberbürgermeister-Kandidatin Henriette Reker in Köln hat ein Richter Haftbefehl gegen den mutmaßlichen Attentäter erlassen. Dem 44-Jährigen, der fremdenfeindliche Motive nannte, wird versuchter Mord vorgeworfen, wie die Justiz mitteilte.

Trotz der Attacke wählten die Bewohner von Deutschlands viertgrößter Metropole am Sonntag ein neues Stadtoberhaupt. Dabei erreichte könnte Reker (58), die von CDU, Grünen und FDP im Wahlkampf unterstützt wurde, bereits im ersten Wahlgang die nötige absolute Mehrheit. Damit wird Reker die erste parteilose Oberbürgermeisterin und die erste Frau an der Spitze Kölns.

Voll schuldfähig

Ein psychologisches Gutachten ergab, dass der mutmaßliche Angreifer bei seinem Anschlag auf einem Wochenmarkt am Samstag voll schuldfähig war. Das teilten Polizei und Staatsanwaltschaft mit. Nach Äußerungen am Tatort hatte es daran zunächst Zweifel gegeben. Nach Angaben ihrer Ärzte war die Politikerin außer Lebensgefahr. Als Grund für seine Bluttat gab der 44-Jährige nach Polizeiangaben ausländerfeindliche Motive an. Er habe ausgesagt, in den 1990er Jahren in der rechten Szene aktiv gewesen zu sein, Details habe er aber nicht genannt, teilten die Ermittler weiter mit.

Reker ist als Kölner Sozialdezernentin bislang für die Unterbringung von Flüchtlingen in der Domstadt zuständig. Sie hatte sich im Wahlkampf wiederholt für die Integration von Asylbewerbern ausgesprochen. Neben der 58-Jährigen wurden auch eine Kölner CDU-Politikerin, eine FDP-Ratsfrau und zwei Bürger verletzt. Nach einem unbestätigten Bericht von "Spiegel Online" soll der Angreifer in den 1990er Jahren bei einer später verbotenen Neonazi-Gruppe, der Freiheitlichen Deutschen Arbeitspartei (FAP), mitgemacht haben. Zuletzt sei der Mann mit ausländerfeindlichen Kommentaren im Internet aufgefallen.

Der Rechtsextremismus-Forscher Professor Hajo Funke wies im Gespräch mit dem Kölner "Express" (Montag) auf einen möglichen Zusammenhang zwischen den fremdenfeindlichen Bewegungen der letzten Monate und derartigen Taten hin. "Pegida war der Katalysator für eine neu entstandene Stimmung der Verrohung, für eine Schwemmung der Ressentiments und eine Absenkung der Hemmschwelle. Durch diese Stimmung werden Taten wie in Köln gefördert", sagte er.

Niedrige Wahlbeteiligung

Die Wahlbeteiligung in Köln lag am Sonntag unter 40 Prozent. Bis zur Schließung der Wahllokale um 18.00 Uhr hätten 39,7 Prozent der Stimmberechtigten ihr Kreuzchen gemacht, teilte die Stadt mit. Gut 800.000 Menschen in der Domstadt waren zur Wahl aufgerufen. Wie in anderen NRW-Kommunen sollte auch in Köln eigentlich schon Mitte September gewählt werden. Die Bezirksregierung hatte aber die Stimmzettel beanstandet, das Votum wurde verschoben.

Kölns scheidender Oberbürgermeister Jürgen Roters (SPD) rief zu Standhaftigkeit auf. "Es geht jetzt darum, dass wir uns nicht unterkriegen lassen", sagte Roters der Deutschen Presse-Agentur. Die Diskussion um Flüchtlinge in Deutschland werde heftiger, immer häufiger würden Asylbewerberheime angegriffen. "Wir müssen alle gemeinschaftlich darauf achten, dass das Klima des Zusammenlebens nicht beschädigt wird", appellierte Roters.

Der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach beklagte eine Zunahme von Angriffen auf Politiker. "Ich bin seit 43 Jahren in der Politik, seit 21 Jahren im Bundestag. Ohne zu dramatisieren: Der Ton wird rauer. Es hat immer wieder Beleidigungen oder Drohungen gegeben, aber nicht in einer solchen Massivität", sagte er dem Kölner "Express" (Montag). Der Flüchtlingskoordinator der Bundesregierung, Peter Altmaier (CDU), rief zum Widerstand gegen Fremdenfeindlichkeit auf. "Der Anschlag ist verachtenswert und abscheulich", sagte der Kanzleramtsminister den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Auch wenn wir die genauen Hintergründe noch nicht kennen: Wir müssen uns zu jedem Zeitpunkt deutlich abgrenzen von jeder Form von Ausländerfeindlichkeit und Gewalt."

Woelki: Gewalt entgegen treten 

Die Synagogen-Gemeinde Köln erklärte am Wochenende, sie fühle sich in ihrer Sorge um die Sicherheit aller jüdischen Einrichtungen in NRW bestätigt. Die Sicherheitsbehörden müssten "in die Lage versetzt werden, einen effektiven Schutz zu gewährleisten". Es dürfe nicht zugelassen werden, dass Trittbrettfahrer die Attacken in Israel und Köln als Vorbild für weitere Anschläge nutzten.

Zuvor hatte sich der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki zu der Messerattacke auf Reker geäußert: "Ich wünsche ihr von Herzen rasche Genesung und schließe sie in mein Gebet ein", erklärte Woelki. "Es ist erschütternd, dass eine solch sinnlose Gewalttat den Wahlkampf überschattet." In seiner Predigt während des Festhochamts zu 950 Jahre Kirchweih St. Maria im Kapitol erklärte Woelki, Köln sei eine Stadt, die sich um Vielfalt bemühe. Sowohl Gewalt als auch rechtspopulistische Parolen und Rassismus seien abzulehnen.  Der Kölner Domdechant, Msgr. Robert Kleine, sagte domradio.de, dass er die Wahlen begrüße. "Es muss gezeigt werden: Wir lassen uns demokratische Wahlen nicht kaputt machen. Das wäre das falsche Zeichen."

Auch der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Manfred Rekowski, hatte dazu aufgerufen, Fremdenhass und Gewalt entschlossen entgegenzutreten. "Wenn aus einer fremdenfeindlichen Gesinnung eine Gewalttat wird, bei der sogar Menschenleben gefährdet werden, ist das ein inakzeptabler Tabubruch", erklärte der leitende Geistliche der zweitgrößten Landeskirche am Samstagabend.


OB-Kandidatin Reker  / © Oliver Berg (dpa)
OB-Kandidatin Reker / © Oliver Berg ( dpa )
Quelle:
KNA , dpa , DR , epd