Vertreter der "Gruppe 47" diskutieren in Berlin

Literarisches Gipfeltreffen

Sie hat das geistige Leben in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg entscheidend geprägt. Vor 60 Jahren wurde die "Gruppe 47" gegründet, ein Zusammenschluss von Schriftstellern und Kritikern, der den Neuaufbau nach dem Nationalsozialismus kritisch begleiten wollte. Am Freitagabend trafen sich drei wichtige Vertreter der Gruppe erneut. Und soviel ist klar: Eine Neuauflage will keiner von ihnen.

 (DR)

Nicht unumstritten
Hoch geachtet, aber nicht unumstritten und zum Schluss als "Papiertiger" beschimpft, löste sich die Autorenwerkstatt in den 60er Jahren auf. Am Freitagabend trafen sich drei wichtige Vertreter der "Gruppe 47" zu einem "literarischen Gipfeltreffen" in Berlin: Günter Grass, Martin Walser und Joachim Kaiser diskutierten darüber, was von dem legendären Zusammenschluss übrig geblieben ist.

Einig waren sie sich in einem Punkt: Die "Gruppe 47" wiederzubeleben, wäre ein Ding der Unmöglichkeit. Zwar habe es immer mal wieder Versuche gegeben, räumte Grass ein. Aber heute seien die Bedingungen für einen derartigen Zusammenschluss nicht mehr gegeben. Den Jüngeren fehle eine Hauptstadt, das Zusammenrücken. Und außerdem fehle Hans Werner Richter, der Initiator und Leiter der Gruppe. Zwar lade er selbst einmal im Jahr sechs bis acht Autoren zu ähnlichen Treffen ein, dies sei jedoch keine "Gruppe 47", sagte Grass.

"Enormen Spaß gemacht"
Kaiser betonte, die "Gruppe 47" habe "einen enormen Spaß gemacht", obwohl es sehr anstrengend gewesen sei und es kein Geld dafür gegeben habe. Heutzutage lebten junge Autoren in einem Klima der Resignation und des Misstrauens gegenüber der Begabung. Die damalige Zeit sei hingegen von gemeinsamen Erlebnissen geprägt worden. Es habe "ein anderer Schwung" geherrscht.

Walser hingegen konnte der Gruppe im Nachhinein nicht allzu viel abgewinnen: Er habe sie seit mehr als 40 Jahren nicht mehr vermisst. Dabei hatte ihn die Gruppe 1955 für die Erzählung "Templones Ende" ausgezeichnet. Er habe Glück gehabt und den Preis gewonnen, sagte der Schriftsteller dazu. Später habe er jedoch nicht mehr auf "die Gerechtigkeit des Urteils" vertraut und sich zurückgezogen.

Anekdoten über die damalige Zeit
Zumeist jedoch übertrafen sich Walser, Grass und Kaiser auf dem "literarischen Gipfeltreffen" in Anekdoten über die damalige Zeit. Sie amüsierten sich offenbar prächtig - genau wie das Publikum. Walser etwa erzählte, wie er anfangs von Hans Werner Richter für einen Tontechniker gehalten wurde. Und Grass gab zum Besten, dass Marcel Reich-Ranicki ihn wegen der "Blechtrommel" einen "Zigeunervirtuosen" genannt hatte. 29 Mal traf sich die "Gruppe 47", um unveröffentlichte Texte vorzulesen und zu diskutieren. Sie wurde schließlich zu einem Synonym für Gegenwartsliteratur.

Die Auflösung 1967 sei nicht zuletzt durch die Okkupation der Tschechoslowakei durch russische Truppen verursacht worden, erzählte Grass. Das nächste Treffen hätte in der Nähe von Prag stattfinden sollen.
Richter habe damals versprochen, dass es erst dann ein Treffen der Gruppe geben werde, wenn die Tschechoslowakei wieder frei sei. Tatsächlich habe dieses Treffen viele Jahre später stattgefunden, aber eine "Gruppe 47" sei daraus nicht mehr entstanden. Die neue Generation von Autoren sei ohnehin "nicht mehr ganz Richters Welt" gewesen.