Viele Christen beklagen Übergriffe in Flüchtlingsunterkünften

Glaubensbrüdern in der Fremde Heimat bieten

Berichte christlicher Flüchtlinge über Diskriminierungen in deutschen Erstaufnahmeeinrichtungen häufen sich. Eine nach Religionen getrennte Unterbringung bleibt aber umstritten. Gefragt sind vor allem die Kirchen.

Autor/in:
Christoph Scholz
Willkommensgottesdienst für Flüchtlinge / © Markus Nowak (KNA)
Willkommensgottesdienst für Flüchtlinge / © Markus Nowak ( KNA )

Zweimal versteckte der 28-jährige Rami D. auf der Flucht aus dem zerbombten Homs sein hölzernes Umhängekreuz: Bei der Überfahrt auf dem Schlauchboot nach Griechenland - und in der Erstaufnahmeeinrichtung in Brandenburg. Seine Angst versucht er inzwischen wegzulachen, doch es fällt ihm nicht leicht. Berichte christlicher Flüchtlinge über Mobbing und Diskriminierung bis hin zu offener Gewalt häufen sich.

Diskriminierungen im Alltag

Auch einige der rund 30 syrischen Christen, die eine vorübergehende Bleibe in der katholischen Gemeinde Sankt Matthias in Berlin-Schöneberg gefunden haben, können davon berichten: Weniger über rohe Gewalt als vielmehr über Diskriminierungen im Alltag, etwa durch das Stigma, als Christ "unrein" zu sein.

Muezzin-Rufe aus dem Handy der Mitbewohner

Der 25-jährige Fadi erzählt, wie er jeden Morgen von Muezzin-Rufen aus dem Handy seiner Mitbewohner geweckt wurde. Roudi, 24, ebenfalls aus Homs, zeigt auf seinem Handy eine Szene, in der ein Muslim im Integrationsunterricht sein Gebet gen Mekka verrichtet. Selbst in Syrien war dies nicht vorstellbar, so Roudi. "Bei Menschen, die vor einem militanten Islam geflohen sind, werden in solchen Augenblicken sofort Ängste wach", berichtet der Ökumenereferent der Syrisch-Orthodoxen Kirche in Berlin, Amill Gorgis.

Somar Awad wiederum erhielt einen Hotelgutschein und fand nach langem Suchen bei einem libanesisch-palästinensischen Hotelier eine Unterkunft. "Wenn du Muslim bist, kein Problem", sagte der Betreiber. Einen Monat habe er mit einem "IS-Anhänger" das Zimmer geteilt, erzählt Awad - mit Wut und Scham in der Stimme über die erzwungene Selbstverleugnung. "Er hat mich ständig gefragt, warum betest du nicht. Es war die Hölle". Dies sei kein Einzelfall, beteuert er.

Christen in Einrichtungen in der Minderheit

Allerdings berichten die Schutzsuchenden zugleich über respektvollen Umgang, Hilfsbereitschaft, ja Freundschaften mit Muslimen. "Die Konflikte in den Heimatländern hören nicht schlagartig mit dem Grenzübertritt auf", betont Gorgis. Und die Christen befänden sich in den Einrichtungen zumeist in einer "krassen Minderheit", da sei ein "Dialog auf Augenhöhe nicht möglich". Genaue Zahlen gibt es nicht, da die Behörden die Religionszugehörigkeit nicht registrieren; Schätzungen gehen von ein bis zwei Prozent Christen aus.

Allgemeine Ruhe übertüncht Probleme

Fragt man bei Aufnahmeeinrichtungen nach, können sie allerdings kaum über religiös motivierte Vorfälle berichten. Für die Tübinger Notfallpsychologin Clivia Langer, die den Malteser Hilfsdienst bei der Flüchtlingshilfe berät, ist dies kein Zufall. Helfer sähen "oftmals das Problem überhaupt nicht - solange allgemeine Ruhe herrscht". Die Überlebenden eines Traumas befänden sich hingegen weiter im "Durchhaltemodus" und versuchten, "möglichst nicht aufzufallen", so Langer. Schon eine latente Bedrohung lasse ihre Ängste aber wieder hochkommen. So lebten viele ihren Glauben in einer "inneren Emigration" - als seien sie weiter auf der Flucht. Deshalb äußern sich offenbar viele Flüchtlinge erst, nachdem sie die Erstunterkünfte verlassen haben.

Nach Einschätzung von Paulus Kurt ist ihre Lage nicht selten "katastrophal". Der Flüchtlingsbeauftragte des Zentralrats Orientalischer Christen in Deutschland (ZOCD) floh selbst 1980 als Christ aus der Türkei. Der ZOCD betreibt eine Notfall-Hotline. Die Nummer wird aber nur vertraulich weitergegeben, um Missbrauch zu verhindern: "Im Schnitt melden sich fünf Personen pro Tag: Syrer, Iraker, Armenier, Äthiopier, in den vergangenen Monaten vermehrt Eritreer."

Clanstrukturen entwickeln sich

Kurt beklagt vor allem die fehlende Durchsetzung des Rechts in vielen Einrichtungen: "Es entwickeln sich Clanstrukturen, dann gilt die Macht des Stärkeren". Viele Übergriffe würden aus Angst vor Repressionen erst gar nicht zur Anzeige gebracht. Inzwischen tritt er deshalb für eine getrennte Unterbringung von Christen und Muslimen ein. Er habe Angebote, ja Bitten aus vielen Städten und Gemeinden. Die Behörden hätten dies aber bisher immer abgelehnt. Entsprechende Forderungen der Assyrischen Gemeinde in Stuttgart wies der Leiter des Sozialamtes, Stefan Spatz, mit der Begründung zurück, die Unterkünfte seien "so etwas wie die Vereinten Nationen in klein. Die Leute müssen spätestens hier lernen, miteinander klarzukommen."

Der Philosoph Robert Spaemann warf der Stadt daraufhin vor, sie wolle "gemeinsame Religion als eine Form von Nähe ignorieren und Menschen, die sich als Brüder fühlen, in der Fremde absichtlich auseinanderreißen". Inzwischen kommt die Stadt den Assyrern entgegen.

Politik wehrt sich gegen Trennung nach Religion

Im Mai sollen 30 christliche Flüchtlinge eine gemeinsame Unterkunft erhalten. Generell gilt aber weiterhin: Nach Ethnie oder Religion soll nicht unterschieden werden.

Die Politik wehrt sich gegen eine grundsätzliche Trennung. Sie will weder die staatliche Neutralität in Religionsangelegenheiten infrage stellen noch Konflikte "importieren". Stattdessen setzt man auf eine Überwindung der Notzustände in vielen Einrichtungen. Das verhindert aber nicht pragmatische Lösungen im Einzelfall. Selbst Kurt betont, dass er hier "mit Behörden und Ministerien zu guten Ergebnissen kommt". Gorgis plädiert dafür, zumindest mehrere Christen gemeinsam unterzubringen.

Kirchen können anders handeln

Im Gegensatz zu Behörden können sich aber die Kirchen engagieren. Spaemann hält hier eine Bevorzugung durchaus für gerechtfertigt. "Tut allen Menschen Gutes, besonders aber denen, die uns im Glauben verbunden sind", zitiert er den Apostel Paulus. Für Notfallpsychologin Langer ist es "ein Gebot der Humanität, Schutzsuchenden in der Fremde Möglichkeiten zu eröffnen, sich mit Gleichgesinnten zu treffen".

Diesem Anliegen folgen bundesweit längst unzählige Pfarrgemeinden und Initiativen - von der Wohnungssuche bis zu Begegnungsangeboten. Das Erzbistum Köln will jetzt die Kirche Sankt Pantaleon zu einem Zentrum für syrische Christen ausbauen. Allerdings sind die Initiativen noch weitgehend unkoordiniert. Ein Nadelöhr ist die Sprache. Flüchtlinge wünschen sich Ansprechpartner in den Einrichtungen, aber auch konkrete Hinweise, Flyer oder Aushänge in ihrer Sprache über die nächste Gemeinde, Hilfs- oder Begegnungsangebote. Das wichtigste für Kurt: "Den Glaubensbrüdern zeigen, dass sie in der Fremde nicht alleine sind."


Quelle:
KNA