DOMRADIO.DE: Pfarrer Regamy, was ist für Sie der Unterschied zwischen Beruf und Berufung?
Pfarrer Regamy Thillainathan (Leiter der Kölner Diözesanstelle für Berufungspastoral): Das eine muss das andere nicht ausschließen. Ich kenne viele Menschen, die ihren Beruf als Berufung erleben. Viele sagen sogar: Ich lebe meine Berufung. Sie lieben, was sie tun. Und sie können das gut, was sie tun. Jeder Beruf kann Berufung sein – und umgekehrt. Über geistliche Berufungen hinaus gibt es ja auch noch die Berufung als Mutter oder Vater oder zur Ehefrau und zum Ehemann. Und dann gibt es Menschen, bei denen beides zusammenfällt: wo aus einer Berufung ein Beruf wird. Und dafür bin ich dann da: wenn Menschen sich berufen fühlen, das Wort Gottes zu verkünden, mit Gott für die Menschen da zu sein, indem sie sich als Botinnen und Boten des Reiches Gottes senden lassen. Sie spüren eine tiefe innere Sehnsucht und haben eine Vorahnung, das mit ganzer Hingabe tun zu wollen.
DOMRADIO.DE: Was genau ist Ihre Rolle dabei?
Regamy: Meine konkrete Aufgabe besteht dann darin, bei diesen Menschen in ihre Suchbewegung mit einzusteigen und ihnen Gefährte zu sein auf diesem Weg, der ja auch von vielen Fragen und Zweifeln begleitet ist. Berufungen können nicht im luftleeren Raum entstehen. Es bedarf eines Samens, den Gott legt, aber auch der Erde, sprich einer – um im Bild zu bleiben – fruchtbaren Umgebung, in die Berufung wie ein Samenkorn, das aufgeht, hineinfallen kann.
Ich bin fest davon überzeugt, dass alle Menschen auf ihre je eigene Weise berufen sind. Dass sie zu der Zeit, die Gott bestimmt, und an dem Ort, wo er sie hinstellt, den Auftrag haben, das Leben anderer und diese Welt positiv zu verändern. Dafür bedarf es letztlich keines Theologiestudiums und auch keines Abiturs. Wichtig sind allein ein Hinhören auf Gott und ein unverstellter Blick auf die Wirklichkeit.
DOMRADIO.DE: Berufung ist bekanntlich ja nichts, was sich machen lässt, aber es können – so sagen Sie – günstige Bedingungen dafür geschaffen werden. Wie müssen diese denn aussehen? Wie werben Sie für ein Engagement in der Kirche?
Regamy: Ich kann eine Kultur der Berufung schaffen: eine berufungsfreundliche Atmosphäre. Dafür bin ich viel in unserem Erzbistum unterwegs, besuche Gemeinden und feiere in vielen Gruppen auch Gottesdienste. Dabei lade ich immer wieder dazu ein, für Berufungen zu beten. Denn wir brauchen Berufungen. Und ich bin fest davon überzeugt, dass das Gebet und alles, was sich in einer Gemeinde an geistlicher Bewegung ereignet, dazu beitragen können, genau dieser Kultur, die ich meine, im wahrsten Sinne des Wortes den Boden zu bereiten. Berufungen sind konkret und entstehen auch konkret in den Gemeinden. Dort müssen wir das Thema wach halten. Ohne die Menschen, die am Ort Kirche sein ermöglichen und oft erste Ansprechpartner für Jugendliche sind, könnten wir unseren Auftrag, bei den Menschen zu sein, nicht erfüllen.
DOMRADIO.DE: Welche Rolle spielt dabei die Jugendarbeit?
Regamy: Ihr kommt eine große Bedeutung zu. Daher müssen wir ihr in unserer Pastoral auch Priorität einräumen und dürfen nicht gerade hier an Räumen sparen. Es reicht nicht, dass wir uns über die Messdienerarbeit aufregen, wenn keine Ministrantinnen und Ministranten mehr da sind. Vielmehr sollten wir jeden jungen Menschen, der diesen Dienst versieht, wertschätzen. Die konkrete Ansprache ist es, auf die es ankommt. So habe ich es auch selbst in meiner Neusser Heimatgemeinde erlebt. Immer geht es darum, jemanden behutsam anzusprechen, wenn man für möglich hält, dass Gott ihn ruft. Und diesen Ruf können Menschen – das soziale gemeindliche Umfeld – noch zusätzlich verstärken, auch wenn es manchmal Mut braucht, jemandem eine mögliche geistliche Berufung wie beispielsweise zum Priestertum zuzutrauen.
Trotzdem ist es erstaunlich, wie oft sich junge Leute auf diese persönliche Ansprache hin bei mir in der Diözesanstelle melden. Von daher verstehe ich mich als Lobbyist möglicher Interessenten für die geistliche Berufung. Trotzdem mache ich keine falschen Hoffnungen, wenn ich schnell spüre, dass es auch genug Gründe gibt, die gegen einen solchen Weg sprechen.
DOMRADIO.DE: Sie sagten es schon: Es gibt die unterschiedlichsten Berufungen, auch wenn dieser Begriff am häufigsten im Kontext einer Entscheidung für den Priesterberuf fällt. So gibt auch noch andere Berufsziele in der Kirche mit einer theologischen Ausbildung…
Regamy: Wer in die Diözesanstelle für Berufungspastoral kommt, weil er nach seiner Berufung sucht, bringt meistens einen kirchlichen Hintergrund mit oder interessiert sich für ein soziales Engagement. Dann macht es Sinn, erst einmal ein Praktikum in einer Gemeinde zu absolvieren, um konkret mit pastoralen Aufgaben befasst zu werden. Oder aber es gibt beispielsweise die Möglichkeit, mit dem Studium "Soziale Arbeit" Jugendreferent zu werden, um konkret in der Jugendarbeit eingesetzt zu werden. Solche Stellen haben wir momentan beispielsweise in Bad Godesberg, Meerbusch oder Rodenkirchen. Erfahrungsgemäß gibt das der Jugendarbeit am Ort noch einmal richtig Auftrieb. Meine persönliche Hoffnung ist, dass im Rahmen des Pastoralen Zukunftsweges, bei dem wir auch über multiprofessionelle Teams sprechen, solche Stellen flächendeckend geschaffen werden.
Aber es gibt auch noch viele andere Möglichkeiten, einen geistlichen Beruf in der Kirche zu finden: Dazu gehören Pastoral- und Gemeindereferentinnen und -referenten, Diakone im Haupt- und Nebenberuf oder die Mitgliedschaft in einer Ordensgemeinschaft. Auch Küsterinnen und Küster, Kirchenmusikerinnen und -musiker oder Pfarrsekretärinnen und -sekretäre benötigen eine wertschätzende Begleitung. Allen, die sich für diese Berufsbilder interessieren, geht es um das "Mehr im Menschen". Unter diesem Slogan jedenfalls werbe ich.
DOMRADIO.DE: Die Entscheidung für einen beruflichen Weg fällt meist in jungen Jahren. Wie liegt der Altersdurchschnitt bei den Menschen, mit denen Sie zu tun haben? Sind das vor allem die Jüngeren?
Regamy: In der Regel habe ich es mit der Gruppe der 16- bis 20-Jährigen zu tun. Daher arbeiten wir auch eng mit der Jugendseelsorge zusammen, weil wir dieselbe Zielgruppe haben. Das heißt, wir sind bei allen diözesanen Jugendveranstaltungen mit dabei. Hier zeigen wir: Uns geht es um Euch! An den Wochenenden bin ich persönlich oft in Gemeinden, wo Jugendmessen gefeiert werden, und ich lasse mich gerne in Firmgruppen einladen, besuche Jugendverbände und Messdienergruppen. Dann biete ich Workshops zur Persönlichkeitsbildung und zu einer speziellen Coaching-Methode an, bei der es darum geht, Interessen, Neigungen und Visionen für das eigene Leben zu entdecken. Dabei sind die zentralen Fragestellungen: Was will ich mit meinem Leben? Und was will Gott von mir? Für das Thema Berufung braucht man nun mal "Verstärker". Das heißt, auch bei Wallfahrten oder Jugendfreizeiten versuche ich, den entsprechend Boden zu düngen, damit die Saat aufgehen kann.
Nach unserer letzten Ministrantenwallfahrt nach Rom vor zwei Jahren mit etwa 2000 Jugendlichen hatte ich hinterher 420 Nachrichten auf Facebook und Instagram. Auch eine Kanu-Tour mit Ordensleuten habe ich schon gemacht. Immer geht es um Gespräche, Begegnung, Freundschaft und gemeinsames Unterwegssein. Denn die Menschen brauchen in erster Linie keine Predigten, sie brauchen Zeugen. So ähnlich muss es damals auch bei Jesus gewesen sein. Nur was er nicht hatte, war das Internet, was wir 2000 Jahre später zu Werbezwecken gezielt einsetzen. Unter "berufen.de" kann man unsere Angebote überall finden.
DOMRADIO.DE: Was genau geschieht bei diesen Workshops zur Persönlichkeitsbildung?
Regamy: Ich schaue auf die Talente und Gaben dieser Jugendlichen und versuche, ihre Vorstellung zu schärfen, aber diese auch einem Realitätscheck zu unterziehen. Hierzu habe ich das entsprechende Handwerkszeug gelernt, um junge Menschen von ihrer Bewerbung bis zum Einstieg in den Job professionell begleiten zu können. Denn jeder sollte strategisch gut aufgestellt sein. Bauchgefühl allein genügt nicht. Schließlich geht es um eine tragfähige Lebensentscheidung.
DOMRADIO.DE: Wie wirkt sich die aktuelle Image-Krise der Kirche auf die Jugendlichen aus? Mit welchen Anfragen werden Sie konfrontiert?
Regamy: Natürlich hat das Einfluss auf junge Leute, die nach ihrem Weg suchen. Was sie vor allem irritiert, ist, dass es zumindest augenscheinlich keine klare Vorstellung mehr von dem gibt, wer wir als Kirche sind und wofür wir stehen. Auch die Medien produzieren in der Öffentlichkeit ein Bild von Uneinigkeit derer, die in der Kirche Verantwortung tragen. So entsteht der Eindruck, dass jeder etwas anderes meint, wenn er von Kirche spricht. Das geht sogar so weit, dass sich Kirchenvertreter – gefühlt – geradezu für ihren Dienst entschuldigen, sich selbst bemitleiden und vor allem um den eigenen Horizont kreisen. Dabei geht es darum, die Realität anzunehmen. Das heißt auch, dass unsere Kirche natürlich eine geistliche Erneuerung braucht.
Wenn immer nur der Untergang gepredigt wird, muss man sich nicht wundern, wenn Jugendliche keine Lust haben, hier zu arbeiten. Gott ruft, aber wir müssen schon mithelfen, dass dieser Ruf ankommen kann. Und da ist jeder Einzelne mitverantwortlich: die Gemeinde, die eine positive Ausstrahlung hat, die kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die von der Freude an ihrem Beruf erzählen, die Eltern, die nicht abraten, wenn der Sohn oder die Tochter Theologie studieren will. Wir müssen begeistern. Dafür sollten wir uns von diesem gegenwärtigen Zynismus lösen, der eigentlich gar nicht zu uns passt und den Jugendliche auch nicht verstehen. Stattdessen brauchen wir Menschen, die Feuer und Flamme sind für die Botschaft der erlösenden und befreienden Liebe Gottes. Die authentische Zeugen und echte Diener der Menschen sind.
DOMRADIO.DE: Das ist ein hoher Anspruch in Zeiten, in denen der Vertrauensverlust der Kirche noch lange nicht wettgemacht ist…
Regamy: Ja, aber dabei können wir uns an Jesus selbst orientieren. Er hat gezeigt, wie das geht: nicht predigen, sondern das Leben teilen. "Komm und sieh!", hat Jesus gesagt, als er nach Berufungen gesucht und seine Jünger um sich geschart hat. Ich will anstecken mit meiner Art zu leben und zu glauben. Denn ich bin glücklich in meinem Leben. Ich mag mein Leben in der Kirche, und ich möchte jeden auf den Geschmack bringen. Vielleicht denkt der eine oder die andere dann darüber nach, ob Theologie und Kirche nicht auch eine Option für ihn oder sie sein könnten. Keiner weiß, wie sich unsere Kirche dauerhaft entwickeln wird. Deshalb werbe ich auch nicht für einen Beruf. Ich werbe für einen Lebensentwurf. Denn viele kommen mit einem brennenden Herzen.
Das Interview führte Beatrice Tomasetti.