In vielen Städten unterstützen Initiativen Flüchtlinge ohne Papiere

Medizinische Hilfe in der Grauzone

 (DR)

Ein Reportage von Reimar Paul (epd).
Sie haben Zahnschmerzen oder Hautausschlag, sie bekommen Kinder oder Fieber, sie leiden an Krebs und oft auch an den Folgen erlittener Folter. Doch einfach zum Arzt gehen können sie nicht. Denn Flüchtlinge ohne Aufenthaltsstatus, so genannte Illegale, haben keine Chipkarte, keine Krankenversicherung und meistens auch kein Geld für eine medizinische Behandlung. Ihre Lage ist damit noch schlechter als die der 190.000 geduldeten Ausländer, deren Aufenthaltsstatus an diesem Donnerstag und Freitag zentrales Thema der Innenministerkonferenz in Nürnberg ist.

Tshiana Nguya und ihre Familie hielten sich aus Angst vor Abschiebung Monate lang in Deutschland versteckt. Als die Kongolesin erneut schwanger wurde, ging sie doch zur Ausländerbehörde und beantragte einen Krankenschein. Stattdessen erhielt sie einen Haftbefehl. In der 17. Woche schwanger, wurde Tshiana Nguya mit ihren beiden Kindern aus Niedersachsen abgeschoben. Bei der Geburt im Kongo starben die Mutter und das Baby - nach Angaben von Unterstützern infolge von Vergewaltigungen und Misshandlungen, denen die Frau im Gefängnis in Kinshasa ausgesetzt war.

Ausländer ohne Papiere sind auf besondere Hilfe angewiesen, um an notwendige ärztliche Versorgung und Medikamente zu gelangen. In Göttingen unterstützt der Verein Medizinische Flüchtlingshilfe die Illegalen. „Im Schnitt kommen zwei Mal in der Woche Flüchtlinge ohne Papiere und Krankenversicherung zu uns, die zum Arzt müssen", erzählt Melanie Weyerstall. Sie schätzt, dass insgesamt 500 bis 1.000 Flüchtlinge unregistriert in der Universitätsstadt leben. Bundesweit seien es wohl mehrere Hunderttausend.

Die Initiative hat Kontakt zu etwa zehn Göttinger Ärztinnen und Ärzten, die regelmäßig „Illegale" behandeln - meistens kostenlos und ohne nach Adresse und Papieren zu fragen. „Weitere Mediziner helfen in Einzelfällen", sagt Weyerstall. Auch einige Krankenhäuser seien in das Göttinger Netzwerk eingebunden. „Die übernehmen bei Operationen oder Geburten zumindest einen Teil der Kosten."

In den vergangen Jahren sind solche Netzwerke in mehreren Städten entstanden, darunter sind Berlin, Bremen, Freiburg, Hamburg, Hannover, Halle und Köln. Die Medizinische Beratungsstelle für Flüchtlinge und Migranten in Hamburg bietet einmal wöchentlich eine Sprechstunde in einem Klassenzimmer an. Jedes Jahr vermittelt sie zwischen 650 und 400 Arzttermine in die rund 80 Praxen, die mit der Initiative zusammenarbeiten. Diese Zahlen spiegelten aber keineswegs den tatsächlichen Bedarf wider, sagen die Mitarbeiter. Oft trauten sich Menschen ohne Papiere nicht aus dem Haus.

Nicht immer können Flüchtlinge, die in die Beratungsstellen kommen, angemessen behandelt werden. „Viele sind schwer traumatisiert und brauchen deshalb eigentlich eine Psychotherapie", erklärt Weyerstall. Solche Therapien seien aber nicht zu finanzieren, selbst wenn Psychologen oder Fachärzte sie zu reduzierten Honoraren anböten. Dasselbe gelte für langwierige Zahnbehandlungen oder Zahnersatz.

Manchmal sagen Mediziner auch aus anderen Gründen ab. Sie hätten Angst, sich möglicherweise selbst strafbar zu machen, weiß der Göttinger Migrationsforscher Holk Stobbe. Zu Anklagen oder auch nur Ermittlungen sei es bei medizinischer Hilfe für „Illegale" bislang jedoch nirgends gekommen.

Einige deutsche Kommunen haben das Problem inzwischen auch offiziell erkannt. In München, Nürnberg und Göttingen diskutieren Parteien, Verwaltungen und Initiativen an Runden Tischen, wie die Gesundheitsversorgung für „Illegale" aus der Grauzone herausgeholt werden kann. Auch von höchster Stelle wurde das Engagement für Menschen ohne Papiere schon gewürdigt. Die Leiterin der Malteser Migranten Medizin in Berlin, Adelheid Franz, erhielt Anfang Oktober von Bundespräsident Horst Köhler den Verdienstorden.