Der Roman "Im Westen nichts Neues", 1929 von Erich Maria Remarque veröffentlicht, ist eines der erfolgreichsten Bücher des 20. Jahrhunderts und damit längst ein Mythos der Moderne. Mehr noch: Im Roman hinterfragte der Autor den Sinn des Heldentods und brach damit in den 1920er-Jahren ein Tabu.
Die Verfilmung von Lewis Milestone, 1930 als große Hollywoodproduktion entstanden, gilt auch heute noch als bedeutendster Antikriegsfilm, der die Grauen des Ersten Weltkriegs realistisch schilderte und dem Publikum nichts ersparte.
Die Neuverfilmung, produziert im Auftrag von Netflix, inszeniert von Edward Berger, der vor allem durch das Kinderdrama "Jack" (2013) Aufmerksamkeit erregte, ist in der Nacht zum Montag mit vier Oscars ausgezeichnet worden. Er erhielt den Titel als bester ausländischer Film, für die beste Kamera, das beste Szenenbild und die beste Filmmusik.
Film beginnt in Frankreich
Frühjahr 1917, Westfront in Frankreich: Die Kamera fängt Nahrung suchende Tiere ein, zeigt einen Wald im Nebel, schaut hoch in die Baumkronen. Noch weiß die Natur nichts vom Krieg. Doch dann bricht sich die Gewalt Bahn: Soldaten stürmen schreiend und schießend nach vorne.
Dann springt der Film in seiner Erzählung kurz zurück. Der 17-jährige Paul Bäumer (Felix Kammerer) und seine Freunde haben soeben ihr Abitur bestanden und können es, angetrieben durch chauvinistische Reden ihrer Lehrer, kaum erwarten, nach Paris zu marschieren. Paul fälscht sogar die Unterschrift seines Vaters, um sich einziehen zu lassen.
Doch schon bei der Musterung gibt es eine erste Irritation. Die Uniform, die ihm gereicht wird, hat schon jemand anderem gehört, und dieser Andere ist jetzt tot. Als die jungen Männer nach tagelangem Fußmarsch endlich an der Westfront ankommen, ist ihre Begeisterung verflogen. Es regnet in Strömen, der Schützengraben ein einziger Morast, es herrscht Aufregung und Chaos, und dann nehmen die Franzosen sie auch noch unter Dauerbeschuss.
Brutalität des Krieges
Die Inszenierung von Edward Berger konzentriert sich von Beginn an auf die Brutalität und das Elend des Krieges - und lenkt den Blick der Zuschauer damit automatisch auf den Krieg in der Ukraine. Die Grundausbildung, die im Roman noch eine Rolle spielt, wurde komplett ausgespart, ebenso der Heimaturlaub, bei dem die jungen Soldaten an ihrer ehemaligen Schule von ihren Heldentaten berichten sollen.
Bergers Absicht ist klar: Diese Männer befinden sich im Krieg, und darin geht es nur ums nackte Überleben. Eine verlorene Generation: Berger zeigt das in aufwändig inszenierten, penibel ausgestatteten Schlachten, die stets eine Vorstellung vom Ausmaß der Verwüstungen geben: abgebrannte Bäume, riesige Krater, graue Steinwüsten.
Eineinhalb Jahre später
Plötzlich ein weiterer Zeitsprung von anderthalb Jahren. Der erfahrene Soldat Stanislaus "Kat" Katczinsky (Albrecht Schuch) hat Paul Bäumer unter seine Fittiche genommen. Doch ausgerechnet jetzt, kurz vor Ende des Krieges, nimmt der Horror kein Ende mehr.
Flammenwerfer, die die deutschen Soldaten in lebende Fackeln verwandeln, riesengroße, unförmige Panzer, die über die Schützengräben fahren und alles kurz und klein schießen, ein Soldat, der von den Ketten eines Panzers zerquetscht wird, Gasangriffe. Dazu ein beängstigender Soundtrack.
Im Gegensatz dazu die Unmittelbarkeit der Gewalt im Nahkampf, mal mit dem Bajonett, mal mit Fäusten; aber auch Spaten oder sogar Helme werden als Waffen verwendet. Berger erspart einem nichts. In zwei minutenlangen Todesszenen, in denen zuerst ein Franzose mit durchschnittener Kehle röchelnd dahinsiecht, und dann ein Deutscher stirbt, macht er die Grausamkeit des Tötens deutlich.
Allein im gezeigten Frontabschnitt sind drei Millionen Soldaten gestorben, wie eine Schrifttafel mitteilt. Mit den realen, im Roman nicht enthaltenen Figuren des deutschen Staatssekretärs Matthias Erzberger (Daniel Brühl), der in einem Zugwaggon mit arroganten französischen Generälen Friedensverhandlungen führt, und des preußischen Generals Friedrichs (Devid Striesow), der auf die Sozialdemokraten schimpft und die Soldaten in eine letzte, sinnlose Schlacht schickt, greift Berger die damaligen Debatten um Dolchstoßlegende und Friedensperspektiven auf.