Wie ein Chat jungen Trauernden weiterhilft

Virtueller Trost

Wenn Menschen um jemanden trauern, finden sie nicht immer gleich ein passendes offenes Ohr. Das gilt oft besonders für junge Menschen. Ein ganz besonderer Trauer-Chat von und für junge Menschen bringt Trost auf ungewöhnliche Art und Weise.

Hospiz in Bedburg-Bergheim bietet online Trauerbegleitung / © Sebastian Gollnow (dpa)
Hospiz in Bedburg-Bergheim bietet online Trauerbegleitung / © Sebastian Gollnow ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wie kam es denn damals dazu, dass Sie dieses Projekt gegründet haben?

Romy Kohler (Gründerin des Trauerchats "doch-etwas-bleibt.de"): Wie bei vielen sozialen Projekten gab es dafür leider einen persönlichen Anlass, der sehr traurig war. Unser jüngster Sohn ist sehr plötzlich gestorben. Ich habe einfach festgestellt, dass seine Freunde keine Anlaufstelle hatten.

Wir wohnen im ländlichen Bereich. Es war für die Jugendlichen schwierig, sich irgendwo anzubinden, um mit ihrer Trauer und ihrer Verzweiflung umzugehen. Ich bin schon sehr lange in der Hospizarbeit tätig und habe dann versucht, diese jungen Menschen zu sammeln und ihnen Angebote zu machen. Das einzige, was sie aber wollten, war, dass sie sich bei uns zu Hause im Zimmer unseres Sohnes treffen durften. Das war für uns manchmal einfach wahnsinnig schwierig.

DOMRADIO.DE: Also wären da Selbsthilfegruppen und Trauertreffs für die Altersgruppe auch nicht ausreichend gewesen?

Kohler: Es ist bei uns schwierig, etwas zu finden. Ich habe ihnen dann angeboten: Ich schaue mal in Köln, ob ich für Euch dort eine Trauergruppe für Jugendliche finde. Da haben sie mir ganz klar gesagt, sie würden sich nicht in einen Kreis setzen und über ihre Gefühle sprechen. So ist die Idee in mir entstanden, so etwas online zu machen als Trauer-Chat.

DOMRADIO.DE: Wie funktioniert dieser Trauer-Chat ganz praktisch?

Kohler: Wir haben eine Chat-Plattform auf der Plattform des Erzbistums, ohne dass aber sofort sichtbar wird, dass wir uns dort befinden. Das war wichtig, weil für viele Jugendliche in der Situation Glaube, Religion und Gott schwierige Themen sind.

DOMRADIO.DE: Sie und Ihre Kolleginnen sind keine Psychologinnen. Wie helfen Sie denn genau?

Kohler: Unsere Chat-Begleiterinnen haben selber Trauererfahrungen in der Vergangenheit machen müssen. Das ist für uns praktisch die Einstiegsvoraussetzung, um dort mitarbeiten zu können. Wir beraten nicht, wir therapieren nicht, wir versuchen, die Jugendlichen zu begleiten.

DOMRADIO.DE: Was schreibt man denn, wenn jemand einen geliebten Menschen verloren hat?  

Kohler: Wir haben uns natürlich überlegt: "Was möchten wir?" Wir möchten einen freundlichen, offenen, herzlichen Raum anbieten, in dem Jugendliche sich treffen können, sich austauschen können oder mit unseren Begleiterinnen sprechen können. Das heißt, wenn jemand neu in den Chat kommt, dann fragen wir: "Was führt Dich denn her? Was ist Dir zugestoßen? Möchtest Du erzählen?" Dann kommt das Gespräch ganz von allein in Gang.

DOMRADIO.DE: Warum müssen Chat-Begleiter Trauererfahrung mitbringen.

Kohler: Weil wir einfach davon ausgehen, dass jemand, der diese Gefühle selber erlebt hat, es besser verstehen kann. Natürlich, wenn ich Therapeutin bin, dann muss ich nicht alles selber erleben, was ich therapiere. Aber unsere Chat-Begleiterinnen begleiten andere Trauernde, die im gleichen Alter sind oder jünger oder ein bisschen älter. Die Jugendlichen fühlen sich dann einfach besser aufgehoben. Jugendliche sind wesentlich kritischer als Erwachsene. Die Frage, was man selber schon erlebt habe, kommt immer. Wenn man versucht, ihnen Verhaltensweisen nahezubringen oder Vorschläge zu machen, dann kommt immer die Frage, wie viele denn bei einem selber schon gestorben seien. Ganz, ganz natürlich. Und es ist sehr schön, dass unsere Chat- Begleiterinnen sagen können: "Du, ich weiß nicht genau, wie du dich fühlst. Aber ich weiß, wie es sich anfühlt, einen Menschen zu verlieren."

DOMRADIO.DE: Brauchen Sie noch weitere Chat-Begleiter oder haben Sie genug?

Kohler: Wir brauchen eigentlich immer Nachwuchs für unser Team, weil die jungen Menschen, die wir suchen, sollen zwischen 18 und 30 Jahre alt sein. Das ist eine Lebensphase, in der so viel passiert. Viele müssen uns dann verlassen, obwohl sie gerne noch weiter chatten würden, weil sie ins Ausland gehen, weil sie beruflich sich festigen, weil sie Familie bekommen.

DOMRADIO.DE: Häufig wissen Freunde und Mitschüler oder auch Menschen in der Umgebung nicht, wie sie mit jemandem umgehen sollen, der einen geliebten Menschen verloren hat. Ein "Kopf hoch" will wahrscheinlich keiner hören, oder?

Kohler: Nein. "Kopf hoch" will keiner hören. "Halt die Ohren steif" auch nicht. "Die Zeit heilt alle Wunden" sowieso nicht. Wir haben auf unserer Seite sogar eine Kategorie "Was nervt, was hilft?" Wir möchten gern, dass die Seite lebendig ist und dass die User sich dort auch ausdrücken können. Und was sie sagen, ist: "Wir möchten, dass man uns ganz normal behandelt. Wir wollen schon, dass man darauf eingeht, dass man uns auch mal fragt: Wie geht es dir?" Aber eigentlich wollen sie ganz normal behandelt werden.

DOMRADIO.DE: Jetzt arbeiten bei Ihnen nur Frauen. Warum ist das so?

Kohler: Das wüsste ich auch gerne. Wir haben schon verschiedene öffentliche Veranstaltungen gemacht, und wir haben auch immer wieder darauf hingewiesen. Ich glaube, dass Jungs einfach anders trauern. Die beschäftigen sich anders damit. Wir haben wohl auch Jungs auf unserer Plattform, aber wesentlich weniger als junge Frauen. Die Jungs gehen dann wohl eher in die Disco oder mit Freunden aus, als dass sie sich jetzt da hinsetzen und Gespräche führen.

DOMRADIO.DE: Aber geöffnet ist es auch für Jungs, sowohl als Chat-Begleiter als auch als User?

Kohler: Wir würden uns sehr freuen, weil ich glaube, die Jungs, die im Chat sind, würden sich auch freuen, mal einen männlichen Begleiter dort anzutreffen.

DOMRADIO.DE: Jeden Montag von 20 bis 22 Uhr ist dieser Chatroom geöffnet. Ist das nicht für manche etwas zu wenig, wenn man jetzt akut jemanden zum Reden braucht?

Kohler: Ganz sicher. Wir haben auch schon überlegt, ob wir noch einen Blog machen. Aber wir sind einfach an unseren Grenzen. Wir können nicht mehr leisten und wir möchten das, was wir tun, vernünftig tun.

DOMRADIO.DE: Sie machen das ehrenamtlich. Ein Job, wo man sicher auch schwere Schicksale zu lesen bekommt, die nicht so einfach verschwinden, wenn der Chat dann vorbei ist. Was machen Sie dann?

Kohler: Uns ist es sehr wichtig, dass unsere jungen Begleiterinnen auch gut begleitet sind. Das bedeutet, sie werden erst einmal eingeführt, sie bekommen ein Ausbildungswochenende und sie müssen jeden Monat zur Supervision kommen. Ich spüre eine sehr hohe Verantwortung für diese jungen Menschen. Ich habe großen Respekt vor ihnen. Sie gehen zu ihrem eigenen Schmerz zurück, um andere zu unterstützen.

Das Interview führte Martin Bornemeier.


Quelle:
DR