"Brauchen wir nicht zuallererst lebende Ikonen, Zeugen des Vertrauens aus dem Glauben, damit wir die Mutlosigkeit abstreifen und neue Hoffnung schöpfen können?" Wer die Gemeinschaft von Taize verstehen will, findet in diesem Zitat von Frere Roger, dem Gründer der Communaute, die Antwort. Ohne dieses Selbstverständnis sind auch ihre Gesänge nicht zu verstehen.
Bis heute geht von ihnen eine Faszination aus, die einmalig ist - verbreitet auf allen Kontinenten, übersetzt in mehr als 50 Sprachen.
Das Abenteuer eines gemeinschaftlichen, versöhnten Lebens begann nach dem Krieg mit Christen aus den Kirchen der Katholiken, Reformatoren und Anglikaner. Dies kam besonders in ihren Gottesdiensten zum Ausdruck - es war eine gesungene Liturgie.
Ihr Komponist wurde der Jesuit Joseph Gelineau (1920-2008). Für die Brüder schrieb er Psalmen und Antiphonen in französischer Sprache; eine erste Sammlung erschien 1954. Wegen der vielen Arbeiten bat Gelineau befreundete Kollegen zur Mitarbeit.
Neue Gesänge von den Brüdern mit Begeisterung aufgenommen
Darunter war auch Jacques Berthier, (1923-1994), Domorganist in Auxerre (1953-1960). In einem zweiten Band von Gelineau (1955) waren auch 51 mehrstimmige Antiphonen von Berthier enthalten. Die neuen Gesänge wurden von den Brüdern mit Begeisterung aufgenommen und erhielten wegen ihrer hohen Qualität in den 1950er Jahren zweimal den Grand Prix du Disque, Frankreichs bedeutendste Auszeichnung für herausragende Musikeinspielungen.
Im gleichen Jahr erhielt Berthier die Anfrage aus Taize zur weiteren Mitarbeit. Inzwischen war er nach Paris gezogen und wirkte als Kirchenmusiker an der Kirche St. Ignace. Seit den 1960er Jahren wurde Taize immer mehr zu einem spirituellen Magneten, der seinen ersten Höhepunkt Ostern 1974 im "Konzil der Jugend" mit mehr als 15.000 Jugendlichen erlebte.
Es zeigt sich schnell, dass die Gesänge der Brüder für sie zu anspruchsvoll waren. Wie sollte man das Problem lösen? Der Durchbruch kam, als Frere Robert den Prätorius-Kanon "Cantate Domino" singen ließ. Hier konnten alle mitsingen. Eine wunderbare Erfahrung!
"Taize-Gesänge" bilden neues Genre
Berthier berichtet: "Am selben Abend rief mich Robert an. Schreiben Sie mir sofort Kanons... Einige Kanons wurden sogar telefonisch diktiert. Ich habe diese Arbeit fortgesetzt, und daraus entstand eine dauerhafte Zusammenarbeit." So entwickelte sich in den folgenden Jahren das neue Genre "Taize-Gesänge".
Ihre Urform war der Kanon. Daraus entwickelte Berthier die neue Form des "Ostinato", kleine Phrasen, immer mit lateinischen Text - wegen ihrer Klang- und Vertonungsqualität - , bestehend aus acht Takten", die ohne Unterbrechung wiederkehren.
Sie ermöglichen es, Solisten einzusetzen (vokal und instrumental), die Abwechslung und neue Melodien einbringen. Diese Grundform wurde in den folgenden Jahren immer mehr ausgebaut und variiert. Inzwischen wurde auch in anderen Sprachen gesungen - ein Mittel, um die Versöhnung zwischen den Völkern zu vertiefen. Die Zusammenarbeit zwischen Berthier und den Brüdern wurde sehr intensiv. Sie schickten ihm Texte zu, meist biblische, aber auch spirituelle. Dieser komponierte mehrere Versionen, und die Brüder erprobten sie im kleinen Kreis oder auch mit Jugendlichen auf ihre Tauglichkeit.
Gekennzeichnet von Einfachheit und doch hoher Qualität
Noch heute wird an den Texten gefeilt. In den vergangenen beiden Jahrzehnten haben mehrere Brüder neue Gesänge komponiert: kleine Gebetsrufe, Choräle, Kanons, Litaneien. Sie sind gekennzeichnet von Einfachheit, aber dennoch von hoher Qualität, ohne Schlager- und Jazzattitüden, wiederholbar mit vielfältigen Kombinationsmöglichkeiten. Das ursprüngliche Ziel bleibt bis heute: "mit Gesängen beten". Inzwischen ist das Repertoire auf rund 150 Gesänge angewachsen; 15 davon finden sich unter anderem im katholischen Gesangbuch "Gotteslob" von 2013.
Den Glauben feiern
Die Gemeinschaft von Taize versteht sich nicht nur als ein Ort, um sich über den Glauben auszutauschen, sondern ihn zu feiern. Die Schönheit des Gottesdienstes verhilft zur Freude und Tiefe des Glaubens! Das ist ihre Überzeugung. "Gesang und Stille führen uns zur Anbetung. - Dann tun sich ungeahnte Quellen auf... Anbeten, heißt das nicht, die Gegenwart Gottes erkennen?" (Frere Alois).
Die Gesänge wollen dazu ermutigen. So betreten sie immer neu den "Pilgerweg des Vertrauens". Hier liegt ihre Quelle der Inspiration und die Faszination für die Jugendlichen. Es will schon etwas heißen, wenn ein 15-Jähriger sagt: "Echt cool, dieses Abendgebet! Die Stille und diese wiederholenden Gesänge, die einem nicht mehr aus dem Kopf gehen! Einfach gigantisch!"