"Vom Entwicklungsdienst zum Weltdienst" – unter dieser Überschrift begeht die Arbeitsgemeinschaft für Entwicklungshilfe (AGEH) mit Sitz in Köln ihr 60-jähriges Bestehen. Das heißt, seit 1959 hat der Personaldienstleister der deutschen Katholiken für internationale Zusammenarbeit, der unter anderem die großen Hilfswerke Caritas International, Misereor und Renovabis zu seinen Auftraggebern zählt, rund 7.000 Fachkräfte in Entwicklungsprojekte weltweit vermittelt und versteht sich daher als Personal- und Beratungsfachdienst mit einer international anerkannten Expertise. Der runde Geburtstag am 15. November wird mit einem Dankgottesdienst, den der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick, Leiter der Kommission Weltkirche bei der Deutschen Bischofskonferenz, an diesem Tag um 10.30 Uhr in der Kölner Innenstadtkirche St. Peter zelebriert, und einem anschließenden Festakt im Rautenstrauch-Joest-Museum gefeiert.
"Entweder wir bauen die Zukunft gemeinsam oder es gibt keine Zukunft" – dieses Zitat aus der Enzyklika "Laudato Si" von Papst Franziskus bringt auf den Punkt, wie die AGEH im Jahr 2019 ihren Auftrag versteht. Denn es geht der einst von katholischen Organisationen und Verbänden gegründeten Arbeitsgemeinschaft bei den aktuellen Herausforderungen von Hunger, Kriegen, Klimawandel und den daraus resultierenden Themen Flucht und Migration um eine gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen an den bestehenden Ressourcen weltweit. Durch die Vermittlung von Fachkräften zur Mitarbeit in Organisationen des sogenannten Südens trägt sie dazu bei, die Benachteiligung derer, die in diesen Ländern oft um ihre Existenz ringen, zu bekämpfen und das große Gefälle von extremer Armut auf der einen Seite und unverhältnismäßigem Reichtum auf der anderen abzubauen.
Personelle Zusammenarbeit unterstützt Austausch
Auch in Deutschland sind die Folgen einer solchen Ungleichheit längst zu spüren: Geflüchtete suchen hier Schutz und extreme Wetterlagen geben Anlass zur Sorge, dass auch in diesem Teil der Erde das Leben zukünftiger Generationen absehbar bedroht sein wird. Angesichts der Erkenntnis, dass letztlich alle in einem Boot sitzen, wenn die Wälder im Amazonas brennen und die Menschen in weiten Teilen Afrikas wegen anhaltender Dürre ihre bescheidene Ernte verlieren, setzt die AGEH auch nach sechs Jahrzehnten immer noch auf das, was ihr eigentliches Profil ausmacht: auf personelle Zusammenarbeit. Und so vermittelt sie Fachkräfte nach Kolumbien, Ecuador und Brasilien genauso wie nach Liberia, Sierra Leone und dem Südsudan oder nach Indien, Kambodscha und Myanmar sowie in die Länder Osteuropas.
"Auf diese Weise sind in den vergangenen 60 Jahren Tausende von Begegnungen und ein lebendiger kultureller Austausch mit dem Ziel der Förderung menschlicher Entwicklung möglich gemacht worden", resümiert der AGEH-Vorstandsvorsitzende Markus Demele. "Für die Zukunft muss aber aus der Einbahnstraße der Entsendung in die Länder des Südens noch verstärkter ein Weg des Austausches werden. Denn auch in Europa werden Fachkräfte aus Afrika, Asien und Lateinamerika gesucht, die mit ihrem speziellen Wissen zum Beispiel kirchliche Organisationen beim Aufbau von stabilen Partnerschaften unterstützen können."
Ein kritischer Blick von außen ist gefragt
"Die interkulturelle Begegnung von Mensch zu Mensch, von unterschiedlich geprägten Denkweisen und Erfahrungen, ist dabei das Kernstück unserer Arbeit und bietet die notwendige Basis, um aus unterschiedlichen Perspektiven kreative Lösungen oder die Entwicklung neuer gemeinsamer Ideen und Konzepte entstehen zu lassen", ergänzt die Geschäftsführerin der AGEH, Dr. Claudia Lücking-Michel. "Internationale Fachkräfte und Beraterinnen und Berater, die wir entsenden, bringen einen kritischen Blick von außen und eine gewisse Unvoreingenommenheit in die Arbeit der Organisation vor Ort ein, so dass sie Vertrautes infrage stellen, einen Bewusstseinswandel auslösen können und damit wesentliche Impulse für Veränderungen setzen. Das ist wichtig. Denn wir alle – nicht nur die Länder des Südens – müssen sich entwickeln. Und zwar gemeinsam und miteinander."
Es gehe um die konkrete Begegnung von Menschen zwischen Süd und Nord, um ein Sich-Aufeinander-Einlassen und um Prozesse, deren Ergebnisse nicht im Vorhinein schon absehbar, sondern die eines gemeinsamen Lernens seien. "Wir sind davon überzeugt, dass personelle Entwicklungszusammenarbeit einen wichtigen Beitrag zu einer zukunftsfähigen Weltgesellschaft leisten kann", betont Lücking-Michel. "Nur gemeinsam wird es gelingen, Antworten auf die zentralen Fragen unserer Zeit zu geben, zumal globale Probleme nur gemeinschaftlich zu lösen sind und wir nur so soziale und ökologische Gerechtigkeit erreichen." Dazu bedürfe es vermehrt globaler Lern- und Solidargemeinschaften, in denen Menschen aus dem Süden mit denen aus dem Norden zusammenarbeiteten – und umgekehrt.
Entwicklung ist ein Prozess, der alle einschließt
Dementsprechend falle seit jeher auch den "Rückkehrern" eine besondere Rolle zu. "Sie sind lebendige Brücken zwischen Ländern und Menschen, fördern Vernetzung und Verständigung", so Lücking-Michel. Dabei stehe im Vordergrund nicht allein die Vermittlung von technischem Know-How. "Fachkräfte und Berater sind vor allem Profis darin, mit Menschen zu arbeiten. Darunter verstehen wir nicht, den Menschen im Süden westliches Wissen überzustülpen, sondern mit den Menschen am Ort nach Perspektiven zu suchen und die eigene Sichtweise dabei gewinnbringend einzusetzen. Oberstes Ziel ist es, Menschen in ihrer Autonomie und Gestaltungsfähigkeit zu stärken und ihnen immer wieder die Erfahrung zu ermöglichen, dass sie selbst die besten Lösungen kennen." So verstanden müsse Entwicklung zu einem Prozess werden, der alle Beteiligten einschließt.
Einen besonderen Stellenwert hat bei der AGEH außerdem der Einsatz von Fachkräften im Zivilen Friedensdienst. Denn in vielen Ländern des Südens schwelen Bürgerkriege und gewaltsame Konflikte wegen zu knapper Ressourcen oder aus ethnischen und religiösen Motiven, unter deren Folgen vor allem die Ärmsten eines Landes leiden. Da Gewalt Spuren bei den Menschen und in einer Gesellschaft hinterlässt, setzt hier der Zivile Friedensdienst (ZFD), ein Programm des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, an, für das die AGEH ebenfalls Fachkräfte entsendet und das der Gewaltprävention und Friedensförderung in Krisen- und Konfliktregionen dient. Neun deutsche Friedens- und Entwicklungsorganisationen, darunter die AGEH, führen den ZFD gemeinsam mit lokalen Partnerorganisationen durch. Fachkräfte des ZFD unterstützen Menschen vor Ort langfristig in ihrem Engagement für Dialog, Menschenrechte und Frieden.
Aus Entwicklungshilfe ist ein gegenseitiger Lernprozess geworden
So arbeiten Fachkräfte als Trainer für Multiplikatoren von Friedensschulen in Kolumbien und Nigeria, damit junge Menschen ein Bewusstsein für die politische und soziale Situation ihres Landes entwickeln sowie neue Wege der Konfliktlösung üben. In Uganda werden Sozialarbeiter und Dorfgemeinschaften bei der Reintegration ehemaliger Kindersoldaten unterstützt. In Liberia begleitet eine Fachkraft die Arbeit der Wahrheits- und Versöhnungskommission. Der Anspruch, mit den Menschen zu arbeiten, gilt für alle Fachkräfte, denn auch im Finanzmanagement oder in der Organisationsberatung geht es nicht allein um die Vermittlung von Techniken und Methoden, sondern vor allem darum, Menschen in der Wahrnehmung ihrer Verantwortung zu unterstützen und ihnen Raum zu geben, neue Kompetenzen zu entwickeln.
In 60 Jahren hat sich in der Entwicklungszusammenarbeit viel verändert. Dieser Wandel soll sich auch in einem neuen Namen niederschlagen. Daher wird zum Jubiläum aus der "Arbeitsgemeinschaft für Entwicklungshilfe" nun "AGIAMONDO". Was in den 60er, 70er und 80er Jahren noch gängiger Sprachgebrauch war, nämlich "Entwicklungshilfe" prominent im Titel zu führen, entspricht heute nicht mehr dem Selbstverständnis des kirchlichen Personalfachdienstes. Das Kunstwort "AGIAMONDO" – seinem romanischen Stamm nach enthält es in deutscher Übersetzung die Worte "handeln" und "Welt" – umschreibt nun treffender die partnerschaftliche Weltverantwortung in einer globalen Welt, in der – das betonen die Verantwortlichen ausdrücklich – jeder von jedem lernen kann.