"Wer nun einen löblichen Endzweck hat, sich durch seine Reisen zu Gottes Ehren, seines Vaterlandes Aufnehmen und seinem eigenen wahren Leibes- und Seelen-Besten zu qualifizieren: der muss nicht nur die drei Haupt-Steine des Anstoßes oder die drey hauptschädlichen W, ich meyne Wein, Weib und Würfel, meiden, sondern auch alles das unterlassen, was seinem Endzweck (...) hindern kann. Wer aber (...) die Curiosität ausgesetzt hat, der mag nur in seinem Vaterlande bleiben, allwo er aus denen Büchern viel Curiosa, ohne sonderliche Kosten sich bekannt machen kann."
Welcher Schnäppchenjäger und Pauschaltourist unserer Tage könnte dieser strengen Beurteilung des Ehrenfried Walther von Tschirnhaus (1651-1708) standhalten? Der Naturforscher und Frühaufklärer formulierte um 1700 als Ziele des Reisens nicht Erholung, Bräunung oder die Teilnahme an Beachpartys, sondern religiöse Erbauung, politische Repräsentation sowie die Bildung von Charakter und gesellschaftlichem Auftreten. Immerhin empfiehlt er - was eigentlich bis heute gelten sollte - eigene Anschauung und "Curiositas", also ein grundsätzliches Interesse am Fremden.
Suche nach dem Seelenheil
Gesellschaftlich gefordert ist nicht weniger als die Fähigkeit, dem Unerwarteten und womöglich Schwierigen aristokratisch gelassen zu begegnen. Denn im Unterschied zur Reiseliteratur, deren Irritationen man schnell ausweichen kann, indem man sie zuklappt, entrinnt der tatsächlich Reisende seinen "Curiosa" nicht.
Reisen bildet also - aber das Reisen selbst bildet sich auch um. Im Mittelalter ging es - außer Handelsreisen und militärischen Aktionen - vor allem darum, etwas für das Seelenheil zu tun; sei es für das eigene oder - im Auftrag - das von anderen. Pilgern zum Heiligen, zu biblischen Orten, Orten von Martyrien, zu Gräbern, Erscheinungsorten oder sonstwie als "heilig" verstandenen Stätten sicherte Bonuspunkte im Himmel. Ablässe waren entweder dortselbst zu erhalten - oder aber gegen Geld zu erkaufen. Man reiste nicht mehr selbst, sondern kaufte sich von der Reise frei.
Alpen, Wälder, Sternehotels
Kein Wunder, war doch jede Reise vor der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts allemal unbequem - Rückenschmerzen, Schlafmangel und Läuse garantiert - und allzu oft auch lebensgefährlich. Wegelagerer, Unfälle, falsche Ernährung, fehlende Hygiene, Raubtiere, Wagenbruch, Zugluft und Erkrankungen aller Art warteten auf der Strecke. Kurios: Die meisten Reisenden, die bis zur geistesgeschichtlichen Euphorie der Romantik der Alpen ansichtig wurden, konnten gar nicht anders, als sie für garstig, widerwärtig und von düsteren Wäldern bestanden zu empfinden. Einziges Ziel konnte sein, solcherlei Gebirge möglichst bald und unbeschadet zu hinter sich zu lassen.
Sternehotels, so viel steht fest, waren in jenen Jahren nicht zu buchen. Glücklich konnte man sich schätzen, bekam man nicht einen allzu unangenehmen Patron unter das obligate warme deutsche Federbett gepackt; freie Partnerwahl: Fehlanzeige. Lebensmittel waren vielerorts mitzubringen, und man konnte froh sein, wenn sich die Herbergsmutter bereiterklärte, diese zuzubereiten. Als kulinarisch und servicetechnisch besonders wertvoll galten europaweit - welch Verkehrung des 21. Jahrhunderts - die Gaststätten Englands. Deutsche Wirte dagegen hatten einen Ruf als besonders gierig, dreist und unverschämt zu verteidigen. Servicewüste Deutschland.
Der Geist aus der Flasche
Und noch ein Kuriosum: Man kennt "Est! Est!! Est!!!" als Weißwein oder Prosecco aus Montefiascone in der Provinz Viterbo. Der Name stammt - historisch freilich nicht belegt - von einer Reise des Mittelalters. Der Überlieferung nach soll im Jahr 1111 der deutsche Prälat Johannes Fugger auf seinem Weg nach Rom einen Diener vorausgeschickt und beauftragt haben, bei allen Gasthöfen mit gutem Wein das Wort "est" (es ist hier) an die Tür zu schreiben.
Dem Diener schmeckte der dortige Wein offenbar so gut, dass er gleich dreimal "est" anschrieb. Fugger trank sich an dem Wein zu Tode.
Unendlich viel noch wäre über Etablissements entlang des Wegs zu berichten. Doch gedenken wir lieber der Mahnung des Ehrenfried von Tschirnhaus - und freuen uns auf unseren Sommerurlaub!