Von der Demut im Klosterleben für den Alltag lernen

Nicht nur um sich selbst kreisen

Was fasziniert so an der Atmosphäre und den Menschen im Kloster? Und was hat es mit der vielzitierten Demut auf sich, die Ordensleute vorleben? Die evangelische Pastorin Annette Behnken hat sich auf eine Spurensuche begeben.

Ordensleute im Gebet (KNA)
Ordensleute im Gebet / ( KNA )

DOMRADIO.DE: Haben Sie festgestellt, woher diese besondere Atmosphäre, diese besondere Ausstrahlung in den Klöstern kommt?

Annette Behnken (Pastorin, Autorin, Akteurin in der NDR-Sendung "Klosterküche - Kochen mit Leib und Seele" sowie Sprecherin bei NDR-Morgenandachten und beim ARD "Wort zum Sonntag"): So ganz allgemein ist das immer schwierig zu sagen. Jedes Kloster ist ganz anders. Jeder Orden ist ganz anders. Wir sehen, wenn wir mit dem NDR (Norddeutscher Rundfunk, Anm. d. Red.) die Klöster besuchen, vielleicht auch eine bestimmte Auswahl an sehr offenen und aufgeschlossenen Klöstern.

Annette Behnken / © Stephan Wallocha (epd)
Annette Behnken / © Stephan Wallocha ( epd )

Aber ich war immer sehr berührt von der Ausstrahlung von einigen Ordensleuten, die ich als sehr aufrecht und wie durchleuchtet und durchdrungen erlebt habe. Da ist bestimmt auch ganz viel Idealisierung und Projektion drinnen. Aber wenn ich mit den Ordensleuten, die ich manchmal auch darauf angesprochen habe, darüber ins Gespräch gekommen bin, sagen sie, sie wissen, was ich meine.

Das ist ihnen aber auch nicht in den Schoß gefallen. Das ist auch ein Weg dorthin. Ich glaube, es hat auch damit zu tun, dass sich Menschen ganz stark damit auseinandersetzen, diese Entscheidung zu treffen, im Orden zu leben.

Irgendwann hatte ich den Gedanken, ob das nicht etwas mit Demut zu tun hat. Demut ist ja eine der ganz wichtigen Tugenden im Klosterleben. Benedikt von Nursia hat in einer seiner ersten Ordensregeln, die er geschrieben hat, der Demut einen ganz großen Raum gegeben. Dieser Spur wollte ich dann nachgehen. Was ist eigentlich Demut? Wie kann ich das verstehen? Und wie kann man das vielleicht auch verstehen, wenn man kein Ordensmensch ist oder vielleicht auch gar nicht mal mit Religion so viel anfangen kann? Darin lag meine Neugierde.

DOMRADIO.DE: Menschen haben Sie also auf diesen Weg gebracht, diesem Gefühl nachzugehen. Wohin haben diese Spuren Sie denn geführt?

Behnken: Erstmal zu einer eigenen Neugierde und Sehnsucht. Es war interessant zu merken, dass da Menschen etwas leben, von dem ich selber eine ganz große Sehnsucht habe, davon irgendwie auch etwas von meinem Leben haben zu wollen.

Die Frage ist nur: Kann man das, wenn man nicht im Kloster ist? Ich glaube, man kann es schon. Aber es ist dann eben ein anderer Weg. Dieser Sehnsucht bin ich gefolgt.

Aber ich habe in meinem persönlichen Leben auch geguckt, wo diese Sehnsucht oder das Gefühl der Demut anspringt. Ich bin ein sehr gefühlsgeprägter Mensch. Aber dieses Gefühl der Demut ist unheimlich schwer für mich zu beschreiben, zu definieren, weil das sehr viele Dimensionen und Ebenen hat und sehr schillernd ist. Also, ich finde, es gibt nicht die eine Definition dafür.

DOMRADIO.DE: Deshalb ist es auch so, dass man das nicht mal eben kurz zusammenfassen kann. Im Endeffekt haben Sie dann über Demut ein Buch geschrieben. "Demut - Hymne an eine Tugend" lautet der Titel. Das war gar nicht der ursprüngliche Plan. Es ist auch keine wissenschaftliche Abhandlung. Aber was ist es denn für ein Buch?

Behnken: Ich habe es im Vorwort so ausgedrückt, dass es Spaziergänge mit der Demut sind, in denen ich ein bisschen in meinem persönlichen Leben, aber auch in der Gesellschaft schaue: Wo springen mich da Themen an, von denen ich sage, die haben was mit Demut zu tun oder da fehlt Demut oder da finde ich Demut?

Und ich finde, die Demut hat auch einen ganz großen Bezug zur Kunst. Ich glaube, viele Künstler haben auch eine demütige Haltung der Kreativität gegenüber oder wie man es dann nennen will.

Schließlich hat auch der Humor viel mit Demut zu tun. Über Helge Schneider habe ich auch ein bisschen was über die Demut verstanden, der das Geheimnis der Fröhlichkeit so erklärt hat, dass Fröhlichkeit auch mit der Fähigkeit zu tun hat, zu sich selbst in einen Abstand gehen zu können und sich als kleines Sandkorn in einem großen Ganzen verstehen zu können. Das ist eigentlich dasselbe, was man über die Demut sagen könnte. 

DOMRADIO.DE: Was steckt denn für Sie hinter dem Wort Demut?

Behnken: Das ist genau das Schwierige und auch das Faszinierende. Ich finde, es gibt nicht die eine Definition, den einen Satz, der sagt: Das ist Demut. Es gibt ganz viele Sätze, die stimmen. Darum habe ich mich auch auf einigen verschiedenen Spuren der Demut angenähert und wollte sie gerne auch so ein bisschen ihrem Schillernden und Vielschichtigen belassen, um ihr nicht dieses Wunderbare zu nehmen.

 Ordensfrau im Weinberg
 / © Julia Steinbrecht (KNA)
Ordensfrau im Weinberg / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Und dass "Demut" ein altmodisches Wort ist, finde ich auch ein bisschen zauberhaft. Ich finde solche altmodischen Wörter auch schön, weil die irgendwas in uns auslösen, von dem man denkt, das ist uns nicht mehr so geläufig, da steckt irgendetwas Geheimnisvolles dahinter.

DOMRADIO.DE: Aber es steckt ja auch das Wort "Mut" drin in der "Demut".

Behnken: Ja, das kann man so verstehen. Es wird ja oft als "Mut zum Dienen" übersetzt. Das ist auch ein Aspekt. Aber das ist bei weitem nicht der einzige Aspekt.

Wenn man jetzt ins Ordensleben hineinschaut, dann heißt das übersetzt, dass sich ein Mensch dazu entscheidet, dem, was manche Menschen Gott nennen und diesem Gemeinschaftsleben im Orden oder auch einer bestimmten Aufgabe zu dienen. Damit hat Demut sicher zu tun.

Im Lateinischen heißt das Wort "Humilitas", wo auch der "Humus" drinsteckt, also die Erde, der fruchtbare Boden. Also, ich finde, Demut hat auch etwas mit Bodenhaftung und Wahrhaftigkeit zu tun. 

DOMRADIO.DE: In einer Definition steht heißt es auch, das Demut mit Hinnehmen von Gegebenheiten zu tun hat.

Behnken: Das ist mir zu einfach. So wird es oft verstanden. Das ist ein Aspekt. Aber ich finde, es ist nicht undemütig, auch gegen schlechte Gegebenheiten zu kämpfen. Da, würde ich nicht sagen, hört dann die Demut auf. Ich verstehe, was gemeint ist. Ich finde, das ist auch nicht falsch. Aber das klingt danach, so gebeugt durchs Leben zu gehen und alles anzunehmen und keinen Widerstand zu leisten. So möchte ich die Demut nicht verstehen.

Ich verstehe die Demut etwas anders. Sie springt ja da an, wo wir eigentlich die Endlichkeit oder auch die Übermächtigkeit des Lebens erfahren, also oft da, wo wir Tod oder auch Geburt erleben. Wir merken, das Leben beginnt und hört auf und der Humus ist sozusagen das Symbol dafür. Wir sind aus Erde und wir werden irgendwann wieder zu Asche, Erde, Staub, aus dem anderes Leben wächst. Mehr ist es dann nicht, was von uns überbleibt.

DOMRADIO.DE: Wie würden Sie denn "Demut" Kindern erklären? Was für eine Haltung ist eigentlich Demut?

Behnken: Ich würde, glaube ich, zwei Sachen sagen. Zum einen habe ich mich mit einer Ordensfrau darüber unterhalten. Sie sagte, dass man Kindern dies durchaus nahe bringen könne. Vielleicht nicht mit dem Wort, aber sie sagt, Demut habe auch viel mit Wahrhaftigkeit zu tun. Man könne Kinder und Jugendliche darin stärken, wahrhaftig zu sein. Dies ist so zu verstehen, dass sie selber für sich schauen, was für sie stimmig ist oder wie sie ihre inneren und äußeren Stimmen irgendwie in eine Kongruenz bekommen. Das kann man schon bei Kindern stärken.

Buchtipp: Annette Behnken "DEMUT - Hymne an eine Tugend"

Sich in Demut zu üben, bedeutet auch, zu augenscheinlich unbedeutenden Dingen emporsehen zu können. Annette Behnken erklärt, warum wir uns nicht immer zu wichtig nehmen und stattdessen den Mut haben sollten, uns in den Dienst einer größeren Sache zu stellen. Sie geht auf die Fragen ein, ob ein demütiges Leben in unserer egoistischen Gesellschaft überhaupt möglich ist, wie Demut mit individuellem Wachstum zusammenhängt und warum das nichts mit Unterwürfigkeit zu tun hat.

Pastorin Annette Behnken / © Stephan Wallocha (epd)
Pastorin Annette Behnken / © Stephan Wallocha ( epd )

Da fängt eigentlich die Demut an. Denn das Gegenteil von Demut hat oft mit Lüge und Selbstlüge zu tun. Eigentlich geht es um eine gute Beziehung zu sich selbst, zu seiner Um- und Mitwelt und zu einer spirituellen Dimension.

Das ist die Demut, würde ich sagen, wo man selbst nicht im Mittelpunkt steht, sondern sich auch zurücknehmen kann und sich zugleich aber auch als etwas Besonderes mit besonderen Kräften und Fähigkeiten ausgestattet empfinden kann, die ich auch einsetzen kann. Aber ich kreise dabei nicht um mich. Also, es ist keine Egozentrik.

Und die andere Spur ist die, die ich bei Albert Schweitzer so hervorragend formuliert finde mit der "Ehrfurcht vor dem Leben". Ich finde, da steckt eigentlich die Demut ganz stark drin, dass wir Ehrfurcht vor dem Leben haben. Und auch das ist ja für Kinder und Jugendliche durchaus erfahrbar, wenn sie in der Natur sind.

DOMRADIO.DE: Ist denn Demut heute etwas anderes für Menschen, als sie es mal war?

Behnken: Vielleicht ein bisschen, weil die Menschen anders sind. Demut ist immer auch sehr unterschiedlich verstanden worden. Die Demut hat auch eine ganz dunkle Geschichte, wenn man in Richtung Demütigung und Machtmissbrauch und Corona schaut. Das ist die dunkle Seite, von der ich sagen würde, das ist eine missverstandene Demut.

Heute gibt es viele Menschen, die einfach mit dem Wort Gott oder mit Religion nicht mehr viel anfangen können. In der alten monastischen Lehre, bei Anselm Grün zum Beispiel, findet man das auch gut aufgearbeitet. Da hat Demut ganz viel mit Gottesfurcht zu tun.

Ich glaube, das ist ein Wort, mit dem viele Menschen heute nichts mehr anfangen können. Aber ich glaube, das kann man in eine Begrifflichkeit wie Ehrfurcht vor dem Leben übersetzen. Da gibt es sicherlich auch noch andere Begriffe. Aber ich glaube, wir müssen neu übersetzen, was damit gemeint ist.

DOMRADIO.DE: Inwiefern hat denn diese Haltung der Demut auch mit unserer aktuellen gesellschaftlichen Situation zu tun?

Behnken: Ich glaube, wir sind auf vielen Ebenen aus den guten Beziehungen zu uns selbst und zu unserer Um- und Mitwelt herausgefallen. Der Soziologe Hartmut Rosa wird jetzt viel zitiert, wenn er von der Resonanz spricht.

Das Resonanzgefühl mit der Welt, dass wir mit einem vibrierenden Draht mit der Welt verbunden sind, erleben wir oft nicht mehr. Denn wir leben in einem unheimlichen Tempo und kommen auch aus diesem Empfinden nicht heraus. Da fehlt uns sozusagen die Zeit oder das Empfinden für das, was wir Demut nennen.

Eine Frau erklimmt kniend und betend die Scala Santa (dt. Heilige Stiege) in Rom / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Eine Frau erklimmt kniend und betend die Scala Santa (dt. Heilige Stiege) in Rom / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( KNA )

Dann erleben wir ganz aktuell den von Putin angezettelten Krieg. Da kann man "wunderbar" das Gegenteil eines demütigen Menschen sehen. Auch das beschreibt Anselm Grün ganz gut, dass der Stolz als eines der acht Laster aus der Lehre der monastischen Lehre das Gegenteil der Demut ist. Es ist ein Mensch, der in sich total verhärtet ist, sich selbst idealisiert und ganz egozentrisch um seine eigenen Ideale kreist, aber um sich herum ist ihm eigentlich alles egal.

Das ist sozusagen der Prototyp des stolzen Menschen, der das Gegenteil eines demütigen Menschen ist.

DOMRADIO.DE: Für wen ist Ihr Buch gedacht? Für wen haben Sie es geschrieben?

Behnken: Ich glaube, dass es für Menschen geschrieben ist, die eine religiöse oder spirituelle Neugier haben, die sich vielleicht aber nicht mehr so in ganz traditioneller Kirchlichkeit zu Hause fühlen und vielleicht neu zu verstehen versuchen, was diese alten Begrifflichkeiten meinen. Was steckt dahinter, was ich verstehen kann und was vielleicht auch für eine Vertiefung des Lebens weiterhelfen kann?

Es geht vielleicht darum, den Reichtum der christlichen Tradition neu zu verstehen, wenn man damit nicht so aufgewachsen ist oder das so erlebt hat, dass man damit nicht so viel anfangen konnte. Und so geht es ja vielen Menschen, das sozusagen neu aufzuschließen.

Ich glaube, es richtet sich an Menschen, die schon eine Neugierde und eine Sehnsucht haben, irgendwie dieser spirituellen Dimension ein bisschen nachzugehen.

Das Interview führte Dagmar Peters.

Quelle:
DR