Ingo Brüggenjürgen (DOMRADIO.DE-Chefredakteur): Wenn man vom Kölner Dom Richtung Rhein-Quelle aufbricht, um den Quellen des Glaubens auf der Spur zu sein, dann kommt man automatisch an der Abtei Sankt Hildegard bei Rüdesheim-Eibingen vorbei und dort lebt Schwester Philippa Rath. Sie ist dort zu Hause und vielen bekannt, spätestens seit dem Synodalen Weg, wo sie sich engagiert für die Frauen stark macht. Sie ist auf jeden Fall eine "Mutmacherin": Schwester Philippa Rath, können Sie mit diesem Begriff etwas anfangen?
Schwester Philippa Rath (Buchautorin und Benediktinerin der Abtei Sankt Hildegard): Ja, durchaus und manchmal wird man so etwas unbeabsichtigt. Aber wenn ich an die vielen Reaktionen auf unser Buch "... weil Gott es so will" mit den Zeugnissen von berufenen Frauen zurückdenke, dann macht mir das Mut: Die eigene Berufung anzuschauen und auch in der Frauenfrage in der katholischen Kirche. Ich bin überzeugt, dass wir nicht in einer Sackgasse sind, sondern dass weiter diskutiert wird. Da habe ich häufig die Rückmeldung bekommen, dass ich eine "Mutmacherin" bin.
Ingo Brüggenjürgen: Ihr Buch hat für Furore gesorgt. Sie hatten eigentlich vorgehabt, einige Berufungsgeschichten aufzuzeichnen und zu dokumentieren, die Mut machen sollen. Es sind am Ende dann 150 geworden. Können Sie von dieser Arbeit berichten?
Schwester Philippa Rath: Das Buch ist eigentlich ein Zufallsprodukt, das mir vom Heiligen Geist zugefallen ist. Ich wollte Texte über berufene Frauen in den Synodalen Weg und das Frauen-Forum dort mitnehmen, weil ich mir auch immer wieder anhören musste: "Es gibt doch eigentlich gar keine Frauen, die berufen sind." Ich wollte das Gegenteil beweisen.
Und aus zwölf Mails, die ich ursprünglich geschrieben habe, kamen dann 150 Texte zurück. Inzwischen habe ich über 200 und es haben sich noch weit mehr Frauen nach Erscheinen des Buches bei mir gemeldet. Also, es ist keineswegs ein Einzelfall, dass Frauen sich zu Ämtern in der Kirche berufen wissen, sondern das ist ein sehr breites, durch alle Generationen gehendes Phänomen.
Diese Berufungen sind bisher einfach unter den Teppich gekehrt worden, nicht beachtet, nicht gewürdigt, nicht geprüft worden. Das Buch soll Frauen Mut machen, dieses Tabu zu brechen und über ihre Berufung zu sprechen. Es war auch ein Aha-Erlebnis für viele Kirchenmänner, auch für Bischöfe, das haben sie mir selbst gesagt. Einige haben durch diese Zeugnisse ihre Sicht auf das Thema, auf Frauen in der Kirche und Ämter deutlich verändert. Insofern haben wir nicht nur Mut gemacht, sondern auch Prozesse in der Änderung des Bewusstseins in Gang gesetzt.
Ingo Brüggenjürgen: Wenn Sie selber anderen Frauen Mut machen und vielleicht auch dem einen oder anderen Bischof Beine, wo nehmen Sie denn selber die Energie her? Was macht Ihnen selbst Mut?
Schwester Philippa Rath: Mir macht das Miteinander im Synodalen Weg Mut. Der wird derzeit von vielen schlecht geredet, aber ich bin da ganz anderer Meinung. Mir macht es sehr viel Mut, dass Bischöfe, Priester, Ordensleute, Frauen und Männer in der Kirche miteinander auf dem Weg sind und auch miteinander streiten. Das ist erlaubt. Das gab es schon immer in der Kirche, auch in der Urkirche. Ich finde es ein gutes Zeichen, dass wir uns den Fragen unserer Zeit stellen und versuchen, die Kirche auch ein Stück weit aus der Glaubwürdigkeitskrise wieder herauszubekommen.
Mut macht mir aber auch das große Engagement vieler Frauen an der Basis. Und das sind keineswegs nur die Frauen von Maria 2.0. Es gibt in den Pfarrgemeinden extrem viele Frauen, die sich jetzt verstärkt engagieren, die auch durch dieses Buch ermutigt wurden und die jetzt versuchen, sich einzubringen, Gemeinden mitzugestalten. Das finde ich großartig. Ich begleite zum Beispiel eine Gruppe der kfd in Bingen: Das sind an die hundert Frauen zwischen 30 und 80 Jahren, die so engagiert und lebendig sind, die Kirche wirklich erneuern und mitgestalten möchten. Das macht mir Mut.
Ingo Brüggenjürgen: Sie sind als Historikerin auch auf den Spuren der Heiligen Hildegard unterwegs. Dann wissen Sie natürlich, dass diese Frauen, die mutig Kirche und Gesellschaft verändern, keine Erscheinung der heutigen Zeit sind. Wenn Sie auf die Heilige Hildegard schauen, was können wir von ihr lernen?
Schwester Philippa Rath: Von ihr können wir vor allem lernen, dass wir sagen können, was wir denken. Und dass wir eine Vision von Kirche, von Glauben und Glaubensweitergabe haben, die in unsere Zeit hineingehört. Hildegard hat versucht in ihrer Zeit, und das ist immerhin 900 Jahre her, den Glauben in der Sprache und in den Bildern ihrer Zeit zu verkünden, weil sie damals im zwölften Jahrhundert feststellte, dass Gott in Vergessenheit zu geraten schien.
Wenn wir das vergleichen mit unserer Zeit: Da gibt es auch sehr viele Menschen, die Gott vergessen haben und die ohne ihn bestens leben. Vielleicht müssen die wieder daran erinnert werden, dass es mehr gibt zwischen Himmel und Erde, als sie selbst und dass da ein Schöpfergott ist, der mich in seinen Händen hält. Das können wir von ihr lernen.
Und wir können von ihr lernen, dass sie ganz offen und mutig gesprochen hat. Sie hatte keine Angst. Sie war tief verwurzelt im Glauben und deshalb auch angstfrei unterwegs. Das finde ich ganz wichtig. Sie hat also auch den Großen und Mächtigen ihrer Zeit in Kirche und Welt deutlich die Meinung gesagt, aber nicht um des Streitens willen, sondern – davon war sie überzeugt – um auf den richtigen Weg des Glaubens und der Kirche zurückzuführen. Sie hat Bußpredigten gehalten, Mahn-Briefe geschrieben, sie hat außerdem zwei Klöster gegründet, was ganz ungewöhnlich war für eine Frau in dieser Zeit. Also, sie war eine sehr, sehr starke prophetische Frau, von der wir viel lernen können.
Ingo Brüggenjürgen: Sie sind selber auch immer wieder sehr mutig und treten mutig auf. Sie haben von dieser Gottvergessenheit in unserer Gesellschaft gesprochen. Wenn sich jetzt Menschen fragen: "Wie finde ich denn Gott?" Können Sie uns als Ordensschwester einen Rat geben, wie man Gott im Alltag wiederentdecken kann?
Schwester Philippa Rath: Ich glaube, es gibt ganz unterschiedliche Wege. Ich kann Gott finden und entdecken, indem ich ab und zu oder auch regelmäßig, das wäre noch schöner, in die Heilige Schrift schaue, mir einen Text zur Hand nehme und ihn verkoste.
Ich kann Gott auch in der Natur finden. Die wunderbare Schöpfung, in der wir uns bewegen, weist meines Erachtens auf einen guten Schöpfergott hin. Insofern ist das Engagement der vielen Menschen für die Natur und die Umwelt auch ein Weg zu Gott.
Ich kann Gott aber auch in anderen Menschen finden: in Kranken und Behinderten, in meinen Mitmenschen. Wir müssen einfach die Augen auf machen und ein bisschen tiefer schauen. Dann entdecken wir da unheimlich viel und werden am Ende auch Gott finden.