"Aus einer Wurzel zart, von Jesse kam die Art"
Die klassischen deutschen Advents- und Weihnachtslieder sind in der Regel schon sehr alt. Die meisten von ihnen stammen aus der Zeit zwischen dem 14. und 17. Jahrhundert. Und sie sind voller Bilder. Denkt man nur an das berühmte Lied: "Es ist ein Ros entsprungen". Und zwar "aus einer Wurzel zart, von Jesse kam die Art". Mit der Wurzel Jesse ist der Vater des Königs David gemeint, der den Namen Isai trug. Das ist im Alten Testament nachzulesen. Im Mittelalter hat die deutsche Sprache den Namen Isai zu Jesse verdreht. Von ihm ist in diesem Weihnachtslied die Rede. Der Vater des Königs David lebte um das Jahr 1000 vor Christus und war ein reicher Herdenbesitzer aus Betlehem. Aus dieser Linie, so kündigte der Prophet Jesaja an, werde der zu erwartende Messias kommen, der Heilsbringer für Israel. Er wird diese "Wurzeln" haben und ein Nachfahre des Isai sein. Und tatsächlich wird Jesus auch in Betlehem geboren. Er wird damit als der angekündigte Nachfahre gesehen aus der Linie, deren Ursprung, also deren Wurzel, Jesse war.
"Heut schließt Gott wieder auf die Tür, der Kerub steht nicht mehr dafür"
Die Geburt Jesu in Betlehem wird noch mit anderen Bildern besungen. Im Weihnachtslied "Lobt Gott ihr Christen alle gleich" heißt es: „Heut schließt Gott wieder auf die Tür zum schönen Paradies. Der Kerub steht nicht mehr dafür“. Der Kerub werden im Alten Testament als himmlische Wesen beschrieben. Im ersten Buch der Bibel, dem Buch Genesis, heißt es, dass Gott bei der Vertreibung der Menschen aus dem Paradies einen solchen Kerub als Wächter vor den Eingang stellte, damit die Menschen, "die sich durch ihre Eigenmächtigkeit das Paradies verscherzt haben, nicht so einfach zurückkehren können" (Pfarrer Gerhard Dane). Das Weihnachtslied sagt nun, dass dieser Türhüter des Paradieses eben nicht mehr da steht. Der Weg ins Paradies, das ein Bild ist für die Nähe des Menschen zu Gott, kann wieder betreten werden. Das ist möglich, weil Gott den Menschen in der Geburt Jesu an Weihnachten "so wunderbar entgegen gekommen ist" (Pfarrer Dane).
"Rorate coeli - Tauet Himmel den Gerechten"
In der Adventszeit häufig verwendet wird das Wort "Rorate". Es gibt die "Rorate-Messe". Es gibt den berühmten Kehrvers in der Kirchenmusik: "Rorate coeli". Das Wort kommt aus dem Lateinischen und bedeutet "Tauet". Es ist entnommen aus einem Zitat aus dem Alten Testament: "Tauet Himmel den Gerechten". Das Bild dahinter ist, dass von Gott her, den man sich oben vorstellte, der ersehnte Helfer herunter regnet. Er falle wie Regen auf die Felder, d.h. er mache die Erde fruchtbar. Der von Gott an Weihnachten geschickte Retter "bringt das zum wachsen, was im Menschen steckt" (Pfarrer Dane).
"Wacht auf ihr klugen Jungfrauen"
Voller Inbrunst singen die Christen in der Adventszeit das Lied: "Wachet auf ihr klugen Jungfrauen, der Bräutgam kommt, ihr müsset ihm entgegengehn." Hier werden Bilder verwendet, die Jesus in einem Gleichnis verwendet, nachzulesen im 25. Kapitel des Matthäusevangeliums: Das Himmelreich werde zehn Mädchen gleichen, die als Brautjungfern bestellt waren, um den Bräutigam zu empfangen, der zur Hochzeit kommt. In der Advents- und Weihnachtszeit wird die Ankunft dessen gefeiert, der die Menschen in einen Bund nehmen will: Der von Gott geschickte Retter Jesus. Insofern ist er im Bild der Bräutigam, und die Kirche ist seine Braut. Die Christen sollen sich im Advent auf Jesus hin ausrichten, wie die klugen Brautjungfern ihrem Bräutigam entgegen gehen.
"O komm, o komm, Emmanuel"
Doch kommt außer Jesus noch jemand an Weihnachten? Denn in einem Adventslied heißt es doch auch: "O komm, o komm Emmanuel".
Emmanuel ist hier ein Titel und kein Eigenname. Auch hier steht die alttestamentliche Prophetie des kommenden Messias im Hintergrund. Einem König wird verheißen, dass eine Jungfrau einen Sohn gebären wird, und sein Name wird sein: Emmanuel. Das heißt übersetzt: Gott mit uns. In diesem Titel "Emmanuel" steckt die kürzeste Zusammenfassung des Weihnachtsfestes: "Gott ist mit uns.“