Der Weihnacht berühmter Chorsatz

Von Ros, Blümlein und der Wurzel Jesse 

Kaum ein weihnachtliches Konzert, kaum ein Gottesdienst kommt ohne "Es ist ein Ros entsprungen" aus. Der Komponist des beliebten Liedes starb vor 400 Jahren. Eine kleine Spurensuche.

Autor/in:
Annika Schmitz
Eine Krippe unter einem Weihnachtsbaum / © Steven George (shutterstock)
Eine Krippe unter einem Weihnachtsbaum / © Steven George ( shutterstock )

Um eine Rose, gar die beliebte Christrose, geht es eigentlich gar nicht. Stattdessen ist es ein Zweig, auf den der Prophet Jesaja sein Augenmerk richtet. "Doch aus dem Baumstumpf Isais wächst ein Reis hervor, ein junger Trieb aus seinen Wurzeln bringt Frucht", heißt es dort laut Einheitsübersetzung zu Beginn des 11. Kapitels.

Dieser Vers dient als Ausgangspunkt für ein Gesangsstück, das im Gotteslob heute die Nummer 243 trägt. Neu ist es indes nicht, auch wenn die Verfasser unbekannt sind. Das beliebte Weihnachtslied "Es ist ein Ros entsprungen" wurde erstmals mit Melodie im Speyerer Gesangbuch 1599 abgedruckt. Erst im 20. Jahrhundert fand es flächendeckend Eingang in die protestantischen und katholischen Gesangbücher.

Die Wurzel Jesse

Das Lied, das zur Weihnacht überall in den Kirchen erklingt, erschließt sich jedoch nicht jedem auf den ersten Blick. Von einem Ros, einem Blümlein und einer Wurzel ist da die Rede - nicht die weihnachtlichsten aller Begriffe. Der Blick in das Alte Testament und zum Propheten Jesaja kann die Deutung erleichtern. Dort tritt der Gedanke der Wurzel Jesse in Erscheinung, des biblischen Stammvaters Isai.

Im Neuen Testament erwächst aus dieser Wurzel - folgt man der Genealogie bei den Evangelisten Matthäus und Lukas - der Stammbaum Christi. Die Herkunft Christi, so der Gedanke, kann so auf das Haus David zurückgeführt werden: Christus erfüllt die Verheißungen der Propheten des Alten Testaments.

Maria und die Wurzel Jesse

Die Wurzel Jesse ist zudem ein Motiv, das vor allem in der Buchmalerei und der Kunst rezipiert wird. Insbesondere die mariologische Dimension gewinnt dabei an Bedeutung: Die Wurzel Jesse und die Verkündigungsszene erscheinen oft gemeinsam. Dahinter steckt auch das Spiel mit den lateinischen Begriffen "virga"- Reis, und "virgo" - Maria.

Die späte Rezeption des Liedes hängt vielleicht auch mit den daraus entstehenden konfessionellen Unstimmigkeiten zusammen: Wird in der ersten Strophe einhellig ein Ros besungen, das mitten im kalten Winter ein Blümlein hervorbringt, hat die zweite Strophe für Diskussionen gesorgt. Dort nämlich wird in der ursprünglichen Fassung des Liedes die Gottesmutter Maria mit dem Ros gleichgesetzt, die wiederum das Blümlein Jesu in die Welt bringt - und dabei doch "reine Magd" bleibt.

Der Komponist: Lutheraner 

Der Komponist Michael Praetorius, ein Lutheraner, arrangiert wenige Jahre nach der ersten Veröffentlichung einen Chorsatz, in dem er die Strophe abändert und statt Maria Jesus mit dem Röslein gleichsetzt. Offen bleibt dabei die Frage, wie in dem Zusammenhang die erste Strophe zu verstehen ist. Manche protestantischen Fassungen haben daher das Röslein aus der zweiten Strophe zu einem Blümlein umgedeutet.

Unabhängig von diesen sprachlichen und theologischen Diskursen erfreut sich der vierstimmige Chorsatz von Praetorius aus dem Jahr 1609 bis heute großer Beliebtheit. Kaum ein Chorkonzert zur Advents- und Weihnachtszeit kommt ohne den Satz des Komponisten aus. 2021 jährt sich sein Todesdatum zum 400. Mal.

Praetorius wurde 1571 in Creuzburg an der Werra als jüngstes Kind eines lutherischen Pfarrers geboren. Es scheint eine musikalische Gegend zu sein: Zu Fuß braucht man etwa zweieinhalb Stunden nach Eisenach, heute ist es mit dem Auto eine Fahrt von einer Viertelstunde. Mehr als hundert Jahre nach der Geburt von Praetorius kommt dort Johann Sebastian Bach zur Welt.

1.700 Kompositionen

Der Komponist am Übergang von der Renaissance zum Barock studierte zunächst Theologie und Philosophie. Der Hof des Herzogs Heinrich Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel sollte das Zentrum seines Wirkens werden. Dort wurde er zunächst als Kammerorganist eingestellt und 1604 zum Hofkapellmeister befördert. Am 15. Februar 1621 stirbt Praetorius. Er wird rechts unterhalb der Orgel in der Wolfenbütteler Hauptkirche begraben.

Neben seinen rund 1.700 Kompositionen hinterlässt er auch ein mehrbändiges Musikkompendium, das unter anderem eine Geschichte von weltlicher und geistlicher Musik beinhaltet. Sein berühmtestes Werk jedoch bleibt jener auf den ersten Blick unscheinbare Chorsatz, der auch in den kommenden Wochen an vielen Orten weltweit erklingen wird.


Christrose Helleborus niger / © SQuilitz
Christrose Helleborus niger / © SQuilitz
Quelle:
KNA