DOMRADIO.DE: Wie finden Sie das YouTube-Video von "Rezo" denn?
Erik Flügge (Autor und Politikberater): Es ist ein typisches Video unserer Zeit. Das gibt es links wie rechts. Das gibt es politisch wie unpolitisch. Das ist das Zusammensammeln von irgendwelchen Fakten, die dann arrangiert werden. Die müssen nicht immer einen kausalen Zusammenhang haben. Es geht nur darum, dass irgendetwas irgendwie zeitgleich stattgefunden hat und dann wird ein Zusammenhang behauptet. Nichts anderes macht dieses Video.
Daher ist es ein typisches Phänomen. Und deswegen ist es so unfassbar unverständlich, dass die CDU nicht weiß, wie sie darauf reagieren soll.
DOMRADIO.DE: Erst hat die Union gar nicht reagiert. Dann schickt sie ihre beiden Jüngsten mit Paul Ziemiak und Philipp Amthor vor. Jetzt bieten sie Gespräche mit Rezo an. Souveräner Umgang mit Kritik sieht anders aus, oder?
Flügge: Ich glaube das, was da stattgefunden hat, ist die typische Reaktion von Leuten, die nicht mehr verstehen, was im Internet heute möglich ist. Und das trifft, glaube ich, auf ziemlich viele Leute im CDU-Parteivorstand zu. Da taucht so ein Video auf und alle sagen: "Ja mein Gott, irgend so ein junger Mann mit blauen Haaren. Das interessiert uns doch nicht, was er im Internet sagt." Und dann sagt irgendwann jemand: "Das hat 500.000 Klicks, das hat eine Million Klicks, das hat drei Millionen Klicks". Inzwischen sind es jetzt sieben Millionen Klicks.
Und dann kriegen die Leute Panik, weil sie verstehen, dass da gerade wirklich Millionen Menschen in Deutschland kurz vor einer Wahlauseinandersetzung ein solches Video schauen, in dem nichts Nettes über die CDU gesagt wird und ihr die Gesamtverantwortung für alles, was schief läuft, in die Schuhe geschoben wird. Dann versucht man irgendwie damit umzugehen.
Zu dem Zeitpunkt habe sie eigentlich die Chance für einen souveränen Umgang schon verpasst. Das Groteske ist, dass die CDU dann öffentlich verhandelt hat, was sie tun will. Sie hat Ideen in den Raum geworfen, wie sie reagieren kann und diese wieder zurückgezogen. Das ist natürlich hochgradig unprofessionell.
DOMRADIO.DE: Wie hätten Sie denn auf so ein Video reagiert?
Flügge: Ich glaube, dass die souveränste Reaktion, die wir im politischen Raum gerade gesehen haben, die vom SPD-Europaabgeordneten Tiemo Wölken ist. Die SPD wird in dem Video auch angegriffen. Der hat einfach dieses Video genommen und in einem ähnlichen Stil wie das Video entstanden ist, eine Gegenbotschaft aufgenommen, die auch mittlerweile viele zehntausend Menschen gesehen haben.
In dem Video stellt er nochmal ein paar Dinge klar und sagt: "An der Stelle nehme ich die Fakten nicht an, die du als YouTuber zusammenschraubst. An anderer Stelle kann ich die Kritik durchaus verstehen. Das ist etwas, was ich ändern will". Das ist ein souveräner Umgang damit.
Die CDU hat aber erst mal den ganzen Tag lang nur darüber geredet, dass der junge Mann blaue Haare hat und deswegen kein seriöser Gesprächspartner sei. Dann haben Sie angekündigt, dass es ein Gegenvideo geben wird. Dieses Video von Philipp Amthor hat man sich im CDU-Parteivorstand angeschaut und dann - nachdem man es öffentlich schon angekündigt hatte - entschieden, dass es nicht gesendet wird. Warum, wissen wir nicht.
DOMRADIO.DE: Wie einflussreich sind denn solche Videos, wie das von Rezo? Sind die in der Lage, die politische Meinung von jungen Menschen zu beeinflussen? Vor allem von denen die vielleicht am Sonntag das erste Mal wählen dürfen?
Flügge: Sie machen jetzt auch den gleichen Fehler, den man in der CDU macht. Diese Videos sind nicht nur geeignet, die Meinung junger Menschen zu beeinflussen. YouTube ist für sehr, sehr viele Menschen in Deutschland ein wesentlicher Informationskanal geworden. Dass das Einfluss hat und dass das Wahlen signifikant beeinflussen kann, hat Donald Trump in den USA vorgemacht. Der ist nämlich im Wesentlichen durch solche YouTube-Videos mit ins Amt getragen worden. So langsam beginnt man auch in den etablierten Parteien zu begreifen, dass das, was hier passiert, die gesamte mediale Landschaft ändert. Und es geht nicht nur um junge Menschen.
DOMRADIO.DE: Die Kirche hat gewissermaßen ein ähnliches Problem. Auch da hat man bisweilen den Eindruck, dass sie den Draht zu den jungen Menschen und ihrer Form der Kommunikation verloren hat, oder?
Flügge: Wir haben gehört, dass drei katholische Bistümer ihre Bistumszeitungen einstellen werden. Das ist genau das Gleiche. Man sieht, dass sich bestimmte alte Medienkanäle nicht mehr tragen. Gleichzeitig hat man ganz wenig Verständnis dafür, wie diese neuen Medienkanäle funktionieren und wie sie gemacht werden. Da werden dann irgendwelche Andachten und Predigten im Internet abgehalten, die so in der Form einfach nicht medienadäquat sind.
DOMRADIO.DE: Ob jetzt Parteien oder Kirchen: Wie kann man denn entgegensteuern? Wir können ja jetzt nicht alle YouTuber oder Influencer werden oder vielleicht doch?
Flügge: Vielleicht doch! Die evangelische Kirche in Deutschland hat zum Beispiel mit "Jana glaubt" ein Format entwickelt, das auch eine YouTuberin porträtiert und eine Influencerin aufbaut, die über Glauben spricht. Das ist sehr strittig, weil die einfach sehr, sehr konservative Positionen und ein sehr evangelikales Bild vom Christentum vertritt. Aber nichtsdestotrotz funktioniert sie ganz grundsätzlich in dieser Medienwelt.
Dementsprechend kann man sich schon sehr genau anschauen, dass es durchaus auch für den religiösen Bereich die Chance gibt, das zu tun. Aber dann muss man es mit konsequentem Willen und auch mit Geld tun. Definitiv ist heute eine Investition in einen guten YouTube-Kanal besser getätigt als in eine Bistumszeitung.
Das Interview führte Heike Sicconi.