DOMRADIO.DE: Bilder von zerstörten Köln am Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 kennen viele von uns. Wie war es 1918, als der Erste Weltkrieg zu Ende ging?
Matthias Deml (Pressereferat der Kölner Dombauhütte): Es ist allgemein ein Phänomen, dass der Zweite Weltkrieg in unserem Bewusstsein sehr viel massiver ist. Natürlich hat jeder die Bilder vom zerstörten Köln vor Augen, der Trümmerwüste, aus der sich der Dom noch leidlich erhalten heraushob. Der Erste Weltkrieg ist hier so ein bisschen in Vergessenheit geraten.
In anderen Nationen ist es im Übrigen nicht der Fall: In England und Frankreich ist das Gedenken an den Ersten Weltkrieg sehr viel stärker und auch in Köln war sicherlich der Erste Weltkrieg sehr präsent. Wenn man in die Zeit zurückgeht vor 100 Jahren: Köln war eine wichtige Durchgangsstation, hier sind die Soldaten an die Westfront gezogen. Hier kamen nach dem Ende des Ersten Weltkriegs 1918 die geschlagenen Armeen wieder zurück. Sie sind also alle hier mehr oder weniger durch die Kölner Innenstadt gelaufen, bevor dann die britische Armee Köln besetzt hat.
Hier war eine wichtige Lazarettstadt. Die Verwundeten des Ersten Weltkriegs waren präsent und es war vor allem eine unglaubliche Not und ein unglaublicher Hunger im Ersten Weltkrieg.
DOMRADIO.DE: Davon erzählen Fotos in der Aussellung als Zeitzeugnisse und Texte, die die Situation damals schildern. Was war für ein historischer Moment für Köln, dieses Kriegsende 1918?
Deml: Es war sicherlich teilweise ein ernüchternder Moment. Die Deutschen hatten sehr lange an den Sieg geglaubt, auch noch Anfang 1918 hatte man sehr viele gute Nachrichten. Als dann alles zusammenbrach und der Krieg verloren war, herrschte große Ernüchterung. Aber es war auch ein Wendepunkt, ein Anfang, aus dem sich mehr Demokratie entwickeln konnte. Die erste Republik in Deutschland oder die erste richtige Republik, die sich entwickelt hat, die Weimarer Republik.
Die Zwanzigerjahre bedeuteten dann für Köln tatsächlich auch eine Boomzeit, in der unglaublich viel entstand, letzten Endes auch auf den Trümmern des Krieges. Köln hatte ja große Festungsanlagen, die geschliffen werden mussten, und der damalige Oberbürgermeister Konrad Adenauer hat dann dafür gesorgt, daß diese Gürtel nicht zugebaut werden, sondern zu Grüngürteln werden. Davon profitiert die Stadt noch heute. Wichtige Bauten sind entstanden wie die Messe in Deutz, das Saturnhochhaus. Allerdings hat sich dann auch sehr schnell der Zweite Weltkrieg daraus entwickelt.
DOMRADIO.DE: "Die Stadt und der Dom" Das ist der Untertitel der Ausstellung. Wie hat denn speziell der Dom dieses Kriegsende 1918 erlebt?
Deml: Es ist natürlich nicht so schlimm für den Dom ausgegangen wie der Zweite Weltkrieg, wo der Dom ja schwer getroffen worden war. Im Ersten Weltkrieg hat man aber tatsächlich auch mit Bombardements auf den Dom schon gerechnet.
Es gab ja auch Luftangriffe auf Köln, einen mit über vierzig Toten. Daher machte man sich auch am Dom Gedanken über den Kriegsschutz, ob man Kunstwerke aus dem Dom herausnimmt und sichert. Und man hat tatsächlich begonnen, Glasfenster aus dem Dom auszubauen, vor allem in den nördlichen Seitenschiffen. Die Renaissance-Fenster sind ausgebaut worden. Was noch mehr eine Bedrohung für den Dom und für alle Kirchen in Deutschland war, dass man Materialien abgeben musste. Die Kriegsindustrie brauchte viel Metall und deswegen musste man die Prospektpfeifen nahezu sämtlicher Orgeln in Deutschland abliefern und auch viele Kirchenglocken sind eingeschmolzen worden.
Der Dom hatte relativ viel Glück, er musste nur eine Glocke opfern, allerdings seine größte, die Kaiserglocke mit einem Gewicht von etwa 27 Tonnen die größte freischwingende Glocke der Welt damals. Man hat dann im Mai 1918 begonnen, sie systematisch zu zerlegen. Das war eine Riesenplackerei vor Ort im Glockenstuhl. Im ganzen bekam man sie nicht aus dem Turm heraus. Ziemlich genau vor 100 Jahren, Mitte Juli 1918, war sie dann auch vollständig zerlegt.
DOMRADIO.DE: Und sie war dann die Vorgängerin des "Decken Pitters".
Deml: Genau, sie machte den Weg frei zum "Decken Pitter". Die Kaiserglocke war auch nie so richtig beliebt. Die ersten Güsse sind misslungen und auch die Glocke, wie sie in den Dom gekommen ist, hat nicht ganz den Ton getroffen. Und vielleicht war man auch ganz froh, dass man dieses Geschenk des Kaisers losgeworden ist um den Weg frei zu haben, eine bessere Glocke zu gießen.
DOMRADIO.DE: Von all dem enthält die Ausstellung im DOMFORUM, die bis Ende August läuft. Zur Domwallfahrt im Herbst hat das Domkapitel dann die großformatige Illumination "Dona nobis pacem" geplant. Das müssen Sie erklären.
Deml: Die ganze Domwallfahrt steht letzten Endes in diesem Jahr unter dem Motto des Kriegsendes, des Friedens auch in unserer heutigen Zeit, die eben auch keine friedliche ist, wenn wir die weltweite Entwicklung betrachten. Daher möchte der Dompropst, dass der Kölner Dom zu einem Leuchtturm des Friedens wird in den Tagen der Domwallfahrt. Und da werden wir dann zwischen dem 26. September und dem 30. September jeweils ab 20 Uhr eine bewegte Lichtbildprojektion auf dem Kölner Dom sehen, die sich mit dem Thema Krieg und Frieden auseinandersetzt.
DOMRADIO.DE: Ausstellungen, Illumination, die wollen und sollen nicht nur die Erinnerung an damals aufrecht erhalten, sie sollen auch ein Brückenschlag zu heute sein. Inwiefern?
Deml: Auch unsere Zeit ist des Friedens bedürftig. Und indem wir auf den brüchigen Frieden von 1918 zurückverweisen, verweisen wir natürlich auch auf unsere eigene Zeit, auf die vielen Konfliktherde, die es in der Welt gibt. Da zu Frieden aufzurufen und Gutes zu tun, ist eine wichtige Aufgabe für unsere Zeit.
Das Interview führte Hilde Regeniter.