"Ob es gut oder böse war, dass ich zur Welt kam, weiß ich selbst nicht, jedenfalls war's notwendig." Ein selbstbewusster Satz, den Hans Scholl im August 1941 über sich in einem Brief an seine "Seelenfreundin" Rose Nägele schreibt. Eineinhalb Jahre sollten dem Medizinstudenten da noch bleiben, bis er mit 24 Jahren im Februar 1943 wegen Widerstands gegen den Nationalsozialismus in München hingerichtet wird. Am 22. September wäre das Mitglied der "Weißen Rose" 100 Jahre alt geworden.
Hans war das zweite von sechs Kindern des Ehepaars Robert und Madalene Scholl, geboren in Ingersheim an der Jagst. Robert M. Zoske, Autor der Scholl-Biografie "Flamme sein!" im C.H. Beck-Verlag, bezeichnet sie als "eigenwillige Individualisten". Der Vater, Wirtschaftsberater und später mehrfach Bürgermeister, war ein pazifistischer Liberaler, die Mutter eine pietistisch gesinnte Krankenschwester. Beide hielten Distanz zu Mehrheitsmeinungen. Doch ihr Sohn denkt zunächst stark deutsch-national.
Ein sanfter Junge
Inge Scholl erinnert sich an ihren jüngeren Bruder als einen sanften Jungen. Die Eltern hätten ihn manchmal "Heiland" genannt. Stets sei er auf Versöhnung und Gerechtigkeit ausgewesen. Mit zwölf wird Hans 1931 Mitglied im Christlichen Verein Junger Männer (CVJM), ab 1933 gehört er der Hitlerjugend an, darf sogar 1935 am Reichsparteitag in Nürnberg als Fahnenträger mitwirken. Geprägt ist er jedoch von der bündischen Jugend, die die Nazis ablehnen und deswegen bei Scholls eine Durchsuchung veranlassen. Dazu kommt eine homosexuelle Beziehung von Hans zu einem Jüngeren, die ihn 1937 ins Gefängnis bringt.
Scholl, der für "Selbstbestimmung" und "Selbsterziehung" eintritt und die Werke von Rainer Maria Rilke oder Stefan George schätzt, und selbst einfühlsame Gedichte schreibt, beginnt umzudenken. Seine Mutter rät ihm, die Bibel zu lesen. Überhaupt will er alles tun, um den Schaden wieder gut zu machen. Den auf zwei Jahre angesetzten Wehrdienst leistet Scholl ab, erlebt sogar Adolf Hitler aus nächster Nähe in Stuttgart. Das "schemenhafte Gesicht" fällt ihm auf, eine Umschreibung, die laut Zoske negativ gedeutet werden muss im Sinne einer in der Gegend üblichen Fastnachtsmaske.
Im April 1939 beginnt der junge Mann ein Studium der Medizin in München, daneben besucht er viele Philosophie-Vorlesungen. Besonders Nietzsche hat es ihm angetan. Als im Herbst der Krieg ausbricht, hofft Scholl auf eine Reinigung Europas und eine Lösung gesellschaftlicher wie persönlicher Probleme. Die Ernüchterung folgt.
Schon im März 1940 wird Scholl zur Sanitätsabteilung eingezogen und im Westen eingesetzt. Die Grausamkeit der deutschen Soldaten schreckt ihn ab, wenngleich ihn Besuche in Paris ablenken. Doch er weiß: "Der Krieg wirft uns weit zurück."
Neues Weltbild
Der Student flüchtet sich in die Lektüre christlich-philosophischer Literatur. Gespräche mit Menschen, die gegen das NS-Regime sind, formen sein neues Weltbild. Noch bevor er mit seinem Kommilitonen Alexander Schmorell im Juli 1942 für sechs Monate das Elend an der Ostfront in Russland erlebt, fällt die Entscheidung zum politischen Widerstand. Die ersten vier Flugblätter der "Weißen Rose" entstehen. Ein Pate dafür ist Thomas Mann mit seinen Rundfunkansprachen.
Sophie Scholl (21), die mittlerweile auch in München studiert, unterstützt ab November ihren Bruder. Ihre Ideen fließen in Blatt fünf und sechs ein, vor allem aber kümmert sie sich um die Logistik. Das letzte Flugblatt, das die Geschwister am 18. Februar 1943 im Hauptgebäude der Uni verteilen, wird ihnen zum Verhängnis. Der Hausmeister erwischt sie und liefert sie der Gestapo aus. Vier Tage später ergeht das Todesurteil. Es wird wenige Stunden darauf vollstreckt.
Vom evangelischen Gefängnispfarrer in München-Stadelheim empfangen die Geschwister das Abendmahl. Zuvor hatte Hans mit ihm Vers für Vers das Hohe Lied der Liebe im Korintherbrief gelesen und versichert, weder Hass noch Bitterkeit gegenüber Anklägern und Richter zu verspüren. Um 17.02 Uhr wird er dem Scharfrichter übergeben. Seine letzten Worte lauten: "Es lebe die Freiheit."