Jerusalem - diese Stadt war für ihn der Kompass seines Herzens. "Wie jemand Gefangener der Liebe sein kann, bin ich ein Gefangener Jerusalems geworden", schrieb er in seinem langen und erfüllten Leben immer wieder. Vor 100 Jahren, am 20. Juli 1913, wurde Schalom Ben Chorin als Fritz Rosenthal in München geboren.
Buber prägte seinen Werdegang
Nachdem Nazischergen ihn auf offener Straße zusammengeschlagen hatten, ging er 1935 in das damalige britische Mandatsgebiet Palästina. In Jerusalem gehörte er bald zu dem Kreis bekannter aus Deutschland geflohener Juden wie Martin Buber oder Else Lasker-Schüler. Besonders Buber hat seinen Werdegang geprägt. Das fand in seinem Buch "Zwiesprache mit Martin Buber" literarischen Niederschlag. Fritz Rosenthal nannte sich nun Schalom Ben-Chorin (hebräisch für "Friede, Sohn der Freiheit"). Freiheit und Friede gehörten zu seinen höchsten Idealen menschlichen Daseins.
Die Bekanntschaft mit Martin Buber bedeutete auch privat einen Wendepunkt in Ben-Chorins Leben. Bei der Vorlesungsreihe des Philosophen über Judentum und Christentum lernte er seine spätere Frau Avital kennen. Das junge Mädchen war 1936 mit einem Kindertransport aus Eisenach nach Erez Israel gekommen. Seine Eltern und Großeltern wurden in Auschwitz ermordet. Mit 20 Jahren heiratete Avital Schalom Ben-Chorin. In ihren gemeinsamen 56 Ehejahren war sie ihm bis zu seinem Tod stets Gefährtin, engste Vertraute und Mitarbeiterin.
Einsatz für christlich-jüdischen Dialog
1956 reiste das Ehepaar Ben-Chorin zum ersten Mal wieder nach Deutschland. Ein schwerer Schritt für die beiden der Schoah Entronnenen. Doch sie kamen trotz der grausamen Vergangenheit optimistisch in ihr Geburtsland, um den christlich-jüdischen Dialog aufzubauen. In seinem 1984 erschienenen Buch "Mein Glaube, mein Schicksal" schreibt Ben-Chorin: "Dieser Dialog ist sehr teuer erkauft und zwar mit dem Blut von sechs Millionen jüdischer Opfer."
In dem Buch "Die Erwählung Israels" von 1993 erläutert er die verheerende Wirkung des antijüdischen Vorurteils der «Beerbung» Israels durch die Kirche, das jahrhundertelange Judenverfolgungen verursacht habe. Der 2.000-jährige religiöse Antijudaismus habe den Nährboden für den rassischen Antisemitismus vorbereitet.
"Moralische Wiedergutmachung"
Schalom Ben-Chorin war oft Gastdozent an bundesdeutschen Hochschulen. Über seine Gastprofessur an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, wo er Germanistik und Religionswissenschaft studiert hatte, bis ihm das Studium durch den Arier-Paragraphen 1934 verboten wurde, sagte er: "Es war für mich ein großes Erlebnis zu sehen, mit welcher Bereitschaft diese jungen Menschen das Judentum durch meine Vermittlung kennenlernen wollten. Gleichzeitig sah ich darin eine Art moralischer Wiedergutmachung."
Aus den Münchener Vorlesungen im Jahre 1975 entstand das Buch "Jüdischer Glaube", eine Einführung in das Judentum. Die Stadt München hat ihren großen Sohn geehrt und 2002 eine Straße nach ihm benannt.
Eines der wichtigsten Werke des großen Religionsphilosophen ist die Trilogie "Heimkehr", in der das Judesein der Hauptgestalten des Neuen Testaments herausgestellt wird: "Bruder Jesus" (1967), "Paulus" (1970) und "Mutter Mirjam" (1971). Aus diesen drei Bänden erschließen sich die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Judentum und Christentum, die Schalom Ben-Chorin in dem Satz zusammengefasst hatte: "Der Glaube Jesu einigt uns, der Glaube an Jesus trennt uns."
"Grenzgänger zwischen Literatur, Journalistik und Theologie“
Seine Bücher verfasste Ben-Chorin in deutscher Sprache, denn "aus dem Land kann man auswandern, doch nicht aus der Muttersprache". Sein Gesamtwerk wurde seit dem Jahr 2000 im Gütersloher Verlagshaus von Verena Lenzen in Zusammenarbeit mit Avital Ben-Chorin neu herausgegeben.
Ben-Chorin nannte sich "einen Grenzgänger zwischen Literatur, Journalistik und Theologie". Er war bis zu seinem Tod am 7. Mai 1999 Mitarbeiter der einzigen deutschsprachigen Tageszeitung in Israel, der "Israel Nachrichten". Der christlich-jüdische Dialog hat in seinem 60-jährigen Bestehen Erfolge verbuchen können, auch wenn es Rückschläge gab - wie die Wiederaufnahme von vier Bischöfen der exkommunizierten Piusbruderschaft, die das Zweite Vatikanische Konzil nicht anerkennen wollen und von denen einer den Holocaust leugnet, in die katholische Kirche.
Das Zweite Vatikanum hatte durch seine Erklärung "Nostra Aetate" die Tore der Kirche erst richtig für das Gespräch mit dem Judentum geöffnet. Doch Schalom Ben-Chorin, der Pionier und Brückenbauer, mahnt zum Ausharren:
"Still sein ist alles, wenn die Stürme toben. Still sein und warten mit gespannter Kraft. Standhalten und das Menschenherz erproben, ob es noch lieben kann, wenn seine Wunde klafft."