Vor 100 Jahren wurde Simon Wiesenthal geboren

Kämpfer gegen das Vergessen

Er überlebte den Holocaust und widmete sein Leben der Verfolgung von Naziverbrechern. Die Öffentlichkeit kannte Simon Wiesenthal als "Nazi-Jäger" - und ehrte ihn mit unterschiedlichen Auszeichnungen. Doch dem Sohn einer bürgerlichen jüdischen Familie ging um mehr als die Ahndung von NS-Verbrechen.

Autor/in:
Maria Büche
 (DR)

Mauthausen Ende des Zweiten Weltkriegs kämpfte er auch gegen die Verdrängung des Holocaust aus dem öffentlichen Bewusstsein und gegen die Verjährung von Schuld. Am Mittwoch vor 100 Jahren, am 31.12.1908 wurde Wiesenthal in der heutigen Ukraine geboren.

In beinahe einem Lebens-Jahrhundert ist er den Extremen begegnet.  Bis zu seiner Festnahme 1941 arbeitete er als Architekt in Lemberg.  "Wie durch ein Wunder" überlebte er verschiedene Konzentrationslager. Nach seiner Befreiung fand er seine Frau Cyla wieder, die wie er selbst als einzige einer weit verzweigten jüdischen Familie den Holocaust überstand. Gemeinsam gründeten sie 1947 in Linz das erste Institut zur Dokumentation der Schicksale von Juden und ihrer Verfolger.

Ab diesem Zeitpunkt widmete sich Wiesenthal ganz der Jagd auf NS-Verbrecher. Seinen Ruhm begründete die Hilfe bei der Ergreifung von Adolf Eichmann, der seit der Wannsee-Konferenz 1942 mit der "Endlösung der Judenfrage" betraut gewesen war. Nach dessen Aufsehen erregender Festnahme in Argentinien und der Verurteilung in Israel Anfang der 60er Jahre gründete Wiesenthal in Wien ein neues Jüdisches Dokumentationszentrum, das er bis zuletzt leitete.

"Recht, nicht Rache": Der Titel eines seiner Bücher kann als Leitmotiv seiner Ermittlertätigkeit verstanden werden. Er begriff das Fahnden nach den NS-Tätern nicht nur als Vergangenheitsbewältigung, sondern auch als Zukunftsdienst: Wenn Menschen noch nach Jahren für ihre Verbrechen zur Verantwortung gezogen würden, sei dies auch "eine Warnung für potenzielle Mörder von morgen". Wiesenthals Engagement wurde mit zahllosen Ehrendoktorwürden, Preisen und Auszeichnungen gewürdigt. Altbundeskanzler Helmut Kohl nannte ihn eine "moralische Autorität", die die Deutschen zur Wachsamkeit mahne.

Umstritten - gerade in seiner Heimat
Dennoch blieb Wiesenthal nicht unumstritten, gerade in seiner Heimat Österreich. In den Reihen der SPÖ hatte er zahlreiche Altnazis ausgemacht und einen möglichen Koalitionspartner von Ex-Bundeskanzler Bruno Kreisky (SPÖ) der Zugehörigkeit zu einer Waffen-SS-Einheit beschuldigt, die an Judenerschießungen beteiligt gewesen war. Daraufhin warf Kreisky Wiesenthal "Selbstjustiz" und "mafiaähnliche Methoden" vor und bezeichnete das Wiener Dokumentationszentrum zur Klärung von Kriegsverbrechen als "Mafianetz".

Die Affäre um Kreisky führte dazu, dass Wiesenthal die Suche nach österreichischen Kriegsverbrechern aufgab. 1986 geriet er im Zuge der "Waldheim-Affäre" in Konflikt mit dem Jüdischen Weltkongress (WJC). Während der WJC Bundespräsident Kurt Waldheim als "Kriegsverbrecher" angriff und einen latenten österreichischen Antisemitismus diagnostizierte, verteidigte Wiesenthal sein Heimatland und Waldheim, dem letztlich keine persönliche Schuld nachgewiesen werden konnte.

Außerhalb Österreichs hatten Wiesenthals Recherchen oft Erfolg. Er sorgte für die Verhaftung des Kommandanten von Treblinka, Franz Paul Stangl, in Brasilien. Ebenso für die des stellvertretenden Kommandanten des Konzentrationslagers Sobibor, Gustav Wagner. In den USA spürte er die ehemalige SS-Aufseherin im Frauen-KZ Ravensbrück, Hermine Braunsteiner, auf.

Die Bilanz eines langen Lebens
Etwa 1.100 Täter des Dritten Reichs hat Wiesenthal nach eigener Einschätzung enttarnt und vor Gericht gebracht. Die Bilanz eines langen Lebens. Am 20. September 2005 starb der "Nazi-Jäger" in seiner Wiener Wohnung im Alter von 96 Jahren.

Zuletzt überließ er die aktive Suche den nach ihm benannten Zentren in Wien, Los Angeles, Paris und Jerusalem. Rund 6.000 Fälle seien aufgrund seiner Hinweise untersucht worden, schätzte er. Trotzdem blieben viele Schuldige unbestraft. Vor allem einen der für ihn "wichtigsten Täter" konnte Wiesenthal nicht fassen. Jahrelang fahndete er erfolglos nach dem KZ-Arzt Josef Mengele. Der war bereits 1949 aus Deutschland geflüchtet - und erst 30 Jahre später in Brasilien gestorben.