Vor 175 Jahren wurde die Gossner-Mission in Berlin gegründet

Solidarität mit den Schwachen

In diesem Jahr wird die Gründung der heutigen Gossner-Mission in Berlin gefeiert. Als Beitrag zur "Solidarität mit den Schwachen" würdigte die ehemalige Ratsvorsitzende der EKD, Margot Käßmann, die Arbeit der Mission zum Auftakt des Jubiläumsjahres.

 (DR)

Am Donnerstagabend sprach Käßmann in der Berliner Marienkirche bei ihrer ersten öffentlichen Veranstaltung in Deutschland nach ihrer Rückkehr aus den USA.



Der Verein hatte ein klares Ziel: Zur "Ausbreitung des Christentums unter den Eingeborenen der Heidenländer" hatten sich die Männer 1836 in Berlin zusammengefunden. Im Dezember vor 175 Jahren nahmen die ersten fünf Missionare bei dem evangelischen Pfarrer Johannes Evangelista Goßner (1773-1858) ihre Ausbildung auf, der Vereinsname wurde erst später gewählt.



Die Zeitschrift "Die Biene auf dem Missionsfelde" und andere Schriften Goßners hatten die jungen Handwerker im 19. Jahrhundert zu dem Theologen geführt, um ihn um eine Missionarsausbildung zu bitten. Nach halbjähriger Vorbereitung war es soweit. Mit Bibel und Gesangbuch im Gepäck brachen sie 1837 zum Predigen nach Australien auf. Ihren Lebensunterhalt mussten sie dort selbst verdienen.



Mit 52 Jahren konvertiert

Johannes Goßner hat zum Zeitpunkt der eher zufälligen Gründung seines Missionswerks schon einen bewegten Lebensweg hinter sich. Am 14. Dezember 1773 wird er in Hausen im bayerischen Schwaben als Sohn eines frommen katholischen Ehepaares geboren. Nach dem Studium der Physik, Philosophie und Theologie erhält er 1796 die Priesterweihe. Doch er eckt an bei der katholischen Obrigkeit, 1802 bringt ihn das eine Zeitlang ins Priestergefängnis.



1803 wird er Pfarrer in Dirlewang bei Kaufbeuren, 1811 in München, 1820 in Sankt Petersburg. Vier Jahre darauf wird er aus Russland ausgewiesen. Nach zwei "Vagabundenjahren" als Prediger und Seelsorger tritt Johannes Goßner 1826 mit 52 Jahren zur evangelischen Kirche über und geht nach Berlin.



Dort erlebt er als Hilfsprediger das Elend der Menschen in den Vorstädten und widmet sich der Sozialarbeit. 1833 gründet er die ersten Krankenpflegevereine. Im Herbst 1837, die ersten Gossner-Missionare sind schon ein paar Monate unterwegs, wird auf sein Betreiben hin das Elisabeth-Krankenhaus in Schöneberg als erstes evangelisches Krankenhaus für Berlin eröffnet.



Bis zu seinem Lebensende bleibt Goßner Leiter des Krankenhauses und seines Missionsvereins. Rund 140 Missionare und 60 Missionsschwestern schickt er in die Welt, darunter nur 16 ausgebildete Theologen. Dauerhaften Erfolg haben die Missionare bei den Adivasi in Indien, sie setzen sich dort für die Rechte der Minderheit ein und geraten in Konflikt mit dem Feudalsystem. 1919 wird dort schließlich eine eigene "Gossner Kirche" gegründet.



Am 30. März 1858 stirbt Johannes Goßner in Berlin, ein Kuratorium übernimmt die Leitung des Missionswerks. Im Kaiserreich unterstützt die Missionsleitung die deutsche Kolonialpolitik. In den Missionen selbst stößt dies auch auf Kritik, weil die Behandlung der "Eingeborenen" durch die Kolonisatoren nach Auffassung der Missionare dem Evangelium widersprach, schreibt die Gossner-Mission über ihre Geschichte.



"Strenge Väter der noch unmündigen Missionskinder"

Die Missionare hätten sich dennoch immer als "die strengen Väter der noch unmündigen Missionskinder" verstanden, heißt es weiter selbstkritisch. Die Befreiungsbewegung der Adivasi, die Ende des 19. Jahrhunderts mit Gewalt ihre Rechte durchsetzen wollte, und die indische Nationalbewegung lehnten sie ab und stellten sich stattdessen auf die Seite der britischen Kolonialherren.



1933 hatte die Missionsleitung der eigenen Geschichtsschreibung zufolge zunächst wenig gegen die völkische Ideologie der Nazis einzuwenden, wandte sich dann aber der Bekennenden Kirche zu, bot oppositionellen Gruppen Raum und half verfolgten Juden. Nach 1945 rückt das eigene Land weiter ins Blickfeld. In der DDR zieht die Gossner-Mission mit Wohnwagen umher, um alternative Gemeindeformen für ein "Christentum im Sozialismus" zu entwickeln.



In der Bundesrepublik engagiert sie sich für Ausländer und andere "Randgruppen". 1950 wird in Mainz-Kastel ein Zentrum für kirchlichen Dienst in der Industrie-Gesellschaft gegründet, das auch Industriepraktika für Studierende organisiert. Und die Mission wird in der Friedensbewegung der 80er Jahre aktiv.



Heute arbeitet die Gossner-Mission vor allem als kleine Entwicklungshilfeorganisation der evangelischen Kirche und kooperiert seit diesem Jahr enger mit dem Berliner Missionswerk. "Die Gossner-Mission steht an der Seite der Ausgegrenzten und Marginalisierten", so stellt sich das Werk selbst vor. Und unterstützt Projekte in Indien, Nepal und Sambia.