Vor 20 Jahren starb die Country- und Pop-Ikone Johnny Cash

Glaubend durch tiefste Krisen

Seine Wurzeln lagen im Gospel, später trat er mit TV-Predigern auf: Warum eine Vereinnahmung durch Evangelikale Cash dennoch nicht gerecht wird – auch das belegt die spirituelle Spurensuche im neuen Buch des Theologen Birnstein.

Johnny Cash, amerikanischer Sänger, bei einem Konzert 1986. / © Keystone  (epd)
Johnny Cash, amerikanischer Sänger, bei einem Konzert 1986. / © Keystone ( epd )

DOMRADIO.DE: Sie sind bekennender Johnny Cash-Fan. Und Sie sagen sogar, "das musikalische Vorbild Johnny Cash wurde zu einem meiner Glaubensväter". Inwiefern?

Uwe Birnstein / © Maren Kolf
Uwe Birnstein / © Maren Kolf

Uwe Birnstein (Theologe und Autor): Er war ein tiefgründiger, frommer Mann. Bono, der Sänger von U2, hat Cash öfter besucht und gesagt: 'Johnny Cash war tiefgläubig, aber kein Frömmler'. Solche Menschen finde ich Klasse! Es gibt davon einige in meiner musikalischen Vita, Bob Dylan zum Beispiel, Leonard Cohen, aber eben auch Johnny Cash. Johnny Cash war tief im Glauben verwurzelt, und zwar nicht so, dass er nur Glaubenssätze von sich gab. Sondern sein Glaube hat durch tiefste Lebenskrisen hindurch gehalten.

DOMRADIO.DE: Cashs musikalische Wurzeln liegen im Gospel. Wie müssen wir uns das vorstellen? Der kleine Johnny, der bei der Baumwollernte in seiner Südstaaten-Heimat fromme Lieder schmettert?

Birnstein: Genau. Sie haben 'Swing Low, Sweet Chariot' auf den Feldern gesungen, die Mutter hat damit begonnen und alle Geschwister haben nach und nach eingestimmt. Aber die Mutter ist auch mit ihnen in die Kirche gegangen. Dort haben sie auch wieder Gospels gesungen; als es der Familie etwas besser ging, durfte sich Johnny ein Radio kaufen. Da hat er dann die großen Gospels gehört und die christlichen Country Sänger; das hat ihn so begeistert, dass er sich als Lebensziel gesetzt hat: 'Ich möchte auch mal im Radio zu hören sein!' Das hat er geschafft.

DOMRADIO.DE: Der frühe Tod seines ebenfalls sehr frommen Bruders Jack war ein herber Schlag für die ganze Familie, aber speziell für Johnny selbst. Hat dieses Trauma sein ganzes weiteres Leben bestimmt?

 (shutterstock)

Birnstein: Ich glaube, das war ein wirklich ein Trauma. Er verehrte seinen Bruder, der an den Folgen eines grausamen Unfalls gestorben ist. Ich habe gerade mit einem Mann gesprochen, der Johnny Cash 1984 durch München kutschiert hat. Drei Tage war Cash damals in München. Und dieser Fahrer berichtet, Johnny habe im Auto gesessen und von seinem Bruder erzählt, von dessen Tod und dass ihn das sehr beschäftigt. Ich glaube, er hat sich auch schuldig gefühlt. Nachdem sein Bruder in dem Sägewerk zu Tode gekommen war, hat der Vater zu Johnny gesagt: 'Schade, dass du nicht an seiner statt gestorben bist'. Das muss man sich mal vorstellen! Das knallt in eine Kinderseele rein, das kann man gar nicht vergessen.

DOMRADIO.DE: 'I walk the line', sein erster großer Hit, bedeutet auf Deutsch so viel wie 'Ich bleibe auf dem rechten Pfad'. Das ist ihm sicher nicht immer gelungen, aber immer sein erklärtes Ziel geblieben, oder?

Uwe Birnstein

"Aber er hat sich immer wieder aus den Krisen herausmanövriert. Nicht am eigenen Schopf, sondern mit der Kraft des Glaubens."

Birnstein: Genau. Und er hat das quasi stellvertretend in der Öffentlichkeit vorgelebt; für die allermeisten von uns, die damit hadern, dass sie das, was sie sich vornehmen, doch nicht zu 100 Prozent erfüllen können. Das hat er vorgelebt, auch durch tiefste Krisen. Aber er hat sich immer wieder aus den Krisen herausmanövriert. Nicht am eigenen Schopf, sondern mit der Kraft des Glaubens. Bono von U 2 hat das einmal so formuliert: "Im Gegensatz zu Johnny Cash sind wir alle Weicheier, wie wir mit unseren Krisen umgehen." -  Wie er immer wieder versucht hat, sich durch Entziehungskuren aus der Sucht zu befreien und dann doch immer wieder zurück gerutscht ist, ist schon tragisch. Aber so ist das Leben; und in seinem letzten Interview hat er gesagt. 'Wenn Gott mir vergeben hat, warum sollte ich mir nicht vergeben?' Deswegen, glaube ich, ist er am Ende doch friedlich gestorben.

DOMRADIO.DE: Immer auf der Suche, immer zerrissen angesichts eigenen Scheiterns und Ungenügens. Trifft diese Ambivalenz in Ihren Augen die Spiritualität Johnny Cash?

Birnstein: Ja. Der Apostel Paulus war sein großes Vorbild und er zitierte öfters seinen Lieblingssatz: 'Das Gute, das ich tun möchte, das tue ich nicht.' Das ist ja ein wichtiges spirituelles Thema, wie wir mit unserer Sündhaftigkeit, mit unserer Fehlbarkeit umgehen. Wie er da auf die Gnade Gottes vertraut hat, macht ihn schon zum Vorbild.

DOMRADIO.DE: Cashs Glaubensleben war von Kindheit an evangelikal geprägt. Bis heute versuchen evangelikale Kräfte, ihn als eine Art Promi- Missionar zu vereinnahmen. Warum wird ihm das nicht gerecht?

Birnstein: Ich habe herausgefunden und auch die Bestätigung seines Sohnes John Carter in Nashville bekommen, dass Johnny Cash und seine Frau June Carter immer ein Buch des mystischen interreligiösen Dichters Khalil Gibran bei sich hatten. Dieses wundervolle Buch „Der Prophet“ zum Beispiel, in dem Gibran auch ganz offen und mit großer Lebenserfahrung über die Liebe spricht. Der Sohn hat mir bestätigt, dass seine Eltern regelmäßig in den Büchern gelesen haben; das habe ihre Beziehung gestärkt und ihre Spiritualität geprägt. Neben – um es mit dieser Etikette zu sagen – dem evangelikalen oder sogar fundamentalistischen Johnny Cash ist da eben auch diese enorme Weite.

DOMRADIO.DE: Seine Produzenten haben seinen christlichen Background oft unter den Teppich gekehrt, um nichtgläubige Fans nicht zu vergraulen. Cash selbst hat aber seinen Glauben doch eher offensiv nach außen getragen. Woran zeigt sich das?

Uwe Birnstein

"Musik war für ihn ein Weg ins Herz, aber nicht ein Weg, dazu Menschen vom christlichen Glauben zu überzeugen."

Birnstein: Cash war befreundet mit einem damals sehr populären Fernsehprediger. Mit Billy Graham, der schon damals in den USA große Fußballstadien mit Missions-Veranstaltungen füllte. Da ist Cash aufgetreten, was für beide eine Win-Win-Situation war. Billy Graham hatte einen Promi in seinen Shows und Johnny Cash konnte singen und seine spirituelle Ader zu 100 Prozent ausleben und musste das nicht alles auf seine normale Bühne bringen, auf normale Konzerte. Und auch wenn er auch auf normalen Konzerten dort Gospels gesungen hat, hat er immer unterschieden zwischen Mission und Konzerten. Musik war für ihn ein Weg ins Herz, aber nicht ein Weg, dazu Menschen vom christlichen Glauben zu überzeugen.

DOMRADIO.DE: Er hat noch ein paar dezidiert christliche Projekte gehabt. Mehrere Filme zum Beispiel; und er hat das Neue Testament komplett eingelesen ...

Birnstein: Ja, er hat für die Billy Graham Association das Neue Testament als Hörbuch produziert. Aber er hat eben auch Texte von diesem interreligiösen Mystiker Khalil Gibran eingelesen. Auch davon gibt es ein Hörbuch. Johnny Cash ist einfach nicht festzulegen.

DOMRADIO.DE: Viele heute fasziniert gerade auch Johnny Cashs Alterswerk, wo er als schwer vom Leben gezeichneter Mann eine ganze Reihe Songs anderer Künstler gecovert hat. Warum sind diese Cover-Versionen so berührend?

 © Universal Music 2010
© Universal Music 2010

 Birnstein:  Daran mag berühren, dass er dort nicht gestylt auftritt. Er durfte aber alle Requisiten, alle Kleidungsstücke selbst bestimmen. Und natürlich hatte er als "Man in Black" – das war ja sein Image – einen schwarzen Mantel dabei, schwarze Hose, schwarze Schuhe. Der Fotograf Andy Earl hatte offensichtlich einen super Blick dafür, Cash ganz neu in Szene zu setzen. Nicht mit Gitarre wie immer auf der Bühne, sondern in der Natur. Auf dem Cover der ersten CD sitzen zwei kleine Hunde an den zu den Füßen von Cash. Die sind da, schreibt Cash später, zufällig gewesen und wollten sich einfach hinsetzen. Das ist eine nicht gestylte Spontanität, die da gepaart mit einer sich als biblisch erwiesenen ikonographischen Kraft zusammentrifft. Das hat zusätzlich zur Musik, die intensiv ins Herz geht, noch einmal sein Alters-Image geprägt.

DOMRADIO.DE: Das eines alten, kranken, gebrochenen Mannes?

Uwe Birnstein

"Wie er dieses Lied über den Schmerz im Leben singt, das ist absolut berührend."

Uwe Birnstein: Auf jeden Fall. Ich würde sagen, er singt da mit alterswunder Stimme die Lieder, die ihn schon sein ganzes Leben berührt haben. Einige hat er auch noch selbst komponiert, neu ist zum Beispiel 'The man comes around', wo Jesus zum Jüngsten Gericht auf die Erde kommt und jeden Menschen anschaut und guckt, was er oder sie getan hat. Aber da ist auch ein Song von Nick Cave über den 'Merci Seat' also die Gedanken und Ängste eines Menschen, der auf dem elektrischen Stuhl zur Hinrichtung gehen muss. Das ist schon dunkel und finster; und alles gipfelt in diesem berühmten Video 'Hurt' von Johnny Cash. Da ist sein Gesicht schon von schwerer Krankheit, um nicht zu sagen, vom Tod gezeichnet. Wie er dieses Lied über den Schmerz im Leben singt, das ist absolut berührend.

DOMRADIO.DE: Vor mittlerweile 20 Jahren ist Johnny Cash gestorben. Was bleibt von ihm in musikalischer, aber auch in spiritueller Hinsicht?

Birnstein: Es gibt mehrere Künstler, die am Ende ihres Lebens noch mal eine CD herausgebracht haben, die wirkt wie ein spiritueller Abschied, ich erinnere an Leonard Cohens letzte CD. In der Neuen Zürcher steht ein schöner Artikel, wo es heißt, ohne Cashs American Recordings wären solche Projekte anderer Künstler gar nicht entstanden. Also da hat er viele Millionen geprägt. Und in spiritueller Hinsicht glaube ich schon, dass Johnny Cashs offene Art bleibt, die den Glauben bekennt, aber nicht mit dem Glauben ausgrenzt. Er hat nie gesagt "Nur wer auf meine Art zu Gott findet, ist am Ende gerettet". Sondern Johnny Cash hat immer dafür geworben, sich selbst über den Glauben klar zu werden, aber sich auf jeden Fall – und das ist für ihn immer wichtiger als der Glaube gewesen – sich für die Outlaws, für die Zukurzgekommenen einzusetzen und das auch als Glaubenszeugnis zu werten.

Das Interview führte Hilde Regeniter.

Birnstein, Uwe: Walk on, Johnny Cash!: Warum der „Man in Black“ am liebsten Gospels sang und Trost im Glauben fand. Verlag Neue Stadt, 2023.

Quelle:
DR