Ein Aufschrei der Empörung ging durch Europa: Während Delegierte aus 122 Staaten Ende August 1996 in Stockholm zur ersten Weltkonferenz gegen die kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern zusammenkamen, lieferte der belgische Kinderschänder Marc Dutroux Anschauungsunterricht darin, was Minderjährigen weltweit zugefügt wird. Als Königin Silvia von Schweden fünf Tage später den Kongress beendete, gedachten die Delegierten unter dem Symbol der abgeknickten Rose der beiden Mädchen, die Dutroux ermordet hatte.
Nie zuvor waren das Milliarden-Geschäft der Kinderprostitution und -pornografie, der sexuelle Missbrauch und die dunklen Netzwerke der Kriminellen so sehr im Blickpunkt der Öffentlichkeit gewesen. "Wir müssen zunächst dafür sorgen, dass die sexuelle Ausbeutung von Kindern weltweit und ausnahmslos unter Strafe gestellt wird", sagte der deutsche Außenminister Klaus Kinkel, der ebenfalls nach Stockholm gereist war. Zudem forderte er eine länderübergreifende Strafverfolgung, die "leichter möglich gemacht werden muss als das im Augenblick der Fall ist".
Durchwachsene Bilanz
20 Jahre und einige internationale und nationale Konferenzen später ist die Bilanz durchwachsen: Einerseits sind Gesetze verschärft und Polizeimaßnahmen verstärkt worden. So wird seit 1998 der sexuelle Missbrauch von Kindern nicht länger nur als Vergehen, sondern als Verbrechen bewertet. Seit 2003 ist in Deutschland auch der Besitz von Kinderpornografie strafbar. Und schon seit 1993 können Deutsche auch dann juristisch verfolgt werden, wenn sie im Ausland Kinder missbrauchen. Doch das Gesetz gilt bei Experten als zahnloser Tiger, wurden doch bislang nur wenige deutsche Täter verurteilt.
Auch das Bewusstsein bei Reiseveranstaltern scheint gewachsen. Immer mehr von ihnen haben den "Verhaltenskodex zum Schutz der Kinder vor sexueller Ausbeutung im Tourismus" unterzeichnet. Auf der Internationalen Tourismus-Börse in Berlin ist das Thema immer wieder präsent. Zudem ist ein Netzwerk von Hilfsorganisationen entstanden, die für das Problem sensibilisieren und Opfern helfen.
Andererseits schaffen der wachsende Tourismus, die riesigen Fluchtbewegungen, Armut und Entwurzelung in Entwicklungsländern und die sozialen Probleme in Osteuropa neuen Nährboden für sexuelle Vergehen gegen Kinder. Junge Mädchen aus Afrika oder Rumänien und Bulgarien werden in deutsche Bordelle verkauft. Experten befürchten, dass auch viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zur Prostitution gezwungen und missbraucht werden.
Internet als Hamdelsplatz
Das Internet ist zunehmend zum Handelsplatz und Treffpunkt für Pädophile geworden. So bringt beispielsweise die rasante Entwicklung neuer Technologien und Kommunikationsmedien neue Ausbeutungsformen wie den Missbrauch von Kindern vor der Webcam mit sich.
Genaue Zahlen über das Ausmaß gibt es kaum, die Dunkelziffer ist hoch: "Mehr Kinder als jemals zuvor sind von sexueller Ausbeutung betroffen und das Phänomen tritt in allen Teilen der Welt auf", heißt es jedenfalls in der im Mai veröffentlichten Global Study zur sexuellen Ausbeutung von Kindern auf Reisen und im Tourismus, die von der Hilfsorganisation ECPAT International initiiert wurde.
"Etwa 220 Millionen Mädchen und Jungen unter 18 Jahren werden jedes Jahr Opfer sexueller Gewalt", schätzt die Kinderhilfsorganisation terre des hommes. "1,8 Millionen Kinder werden pro Jahr zur Prostitution und Pornografie gezwungen." Zehntausende Konsumenten von Kinderpornografie heizen die Nachfrage nach pornografischen Darstellungen mit Kindern an und fördern den damit stets verbundenen Missbrauch.
Milliardengeschäft
Es ist ein Milliardengeschäft: Sechs Milliarden Euro beträgt Schätzungen zufolge der Umsatz mit Kinderprostitution und Kinderpornografie. Allein in Deutschland, so schätzt terre des hommes, gibt es rund 50.000 regelmäßige Konsumenten. Täglich entstehen 100 neue Internetseiten mit kinderpornografischem Inhalt.
Das Internet hat Dimensionen und Vermarktungswege ermöglicht, die vor 20 Jahren in Stockholm noch gar nicht abzusehen waren.