Vor 25 Jahren: Bundestag beschließt neue Abtreibungsregelung

Lebensrecht gegen Selbstbestimmungsrecht

Am Thema Abtreibung rührt keine Partei gerne. Denn in den 90er Jahren wurde die Debatte hoch emotional geführt. Vor 25 Jahren beschloss der Bundestag eine Neuregelung für das wiedervereinigte Deutschland.

Autor/in:
Christoph Arens
Schwangere Frau / © Maurizio Gambarini (dpa)
Schwangere Frau / © Maurizio Gambarini ( dpa )

Es war eine endlose Geschichte, die immer wieder die Gerichte beschäftigte und im Bundestag für heftige Auseinandersetzungen sorgte. Gesucht wurde eine gesetzliche Regelung der Abtreibung für das wiedervereinigte Deutschland.

Am 26. Juni 1992, vor 25 Jahren, rang sich der Bundestag mit 357 Ja-, 284 Nein-Stimmen und 16 Enthaltungen zu einer Fristenlösung mit Beratungspflicht durch. Demnach galt ein Abbruch in den ersten zwölf Wochen nicht als rechtswidrig, wenn sich die Frau zuvor beraten ließ.

Klage aus Bayern

Doch die Entscheidung hatte nicht lange Bestand: Bayern und 249 Abgeordnete der CDU/CSU klagten in Karlsruhe. Im Mai 1993 kippte das Bundesverfassungsgericht die Regelung mit der Begründung, das Grundgesetz verpflichte den Staat, menschliches Leben - auch das des ungeborenen - zu schützen. Die Richter rügten auch das Beratungskonzept, da es keinen Auftrag enthielt, "die schwangere Frau zum Austragen des Kindes zu ermutigen".

So ging die Debatte um den Schwangerschaftsabbruch in eine neue Runde und mündete 1995 in das heute noch gültige "Schwangeren- und Familienhilfe-Änderungsgesetz". Demnach ist ein Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich rechtswidrig, er bleibt jedoch straflos, wenn er in den ersten zwölf Wochen vorgenommen wird. Zudem muss die Frau sich mindestens drei Tage vorher beraten lassen. Die Beratung muss ergebnisoffen geführt werden, soll jedoch dem Schutz des Lebens dienen. Ausdrücklich nicht rechtswidrig ist eine Abtreibung nach einer Vergewaltigung, bei Gefahr für das Leben oder die körperliche oder seelische Gesundheit der Schwangeren.

Abbruch wegen Arbeitslosigkeit

Lebensrecht des ungeborenen Kindes gegen Selbstbestimmungsrecht der Frau: Seit 1871 stellte der Paragraf 218 Abtreibung unter strenge Zuchthaus-Strafe. 1926 wurde das Wort "Zuchthaus" durch "Gefängnis" ersetzt und die "medizinische Indikation" zugelassen, also der Schwangerschaftsabbruch bei Gesundheitsgefährdung der Mutter. 1972 führte die DDR eine Fristenlösung ein. 1974 beschloss auch die Bonner sozial-liberale Koalition eine Fristenlösung, die eine legale Abtreibung während der ersten drei Schwangerschaftsmonate vorsah. Sie scheiterte damit 1975 in Karlsruhe.

Ein Jahr später beschloss der Bundestag ein Gesetz, das den Schwangerschaftsabbruch zwar prinzipiell für strafbar erklärte, Fälle, in denen eine medizinische, kriminologische, soziale oder eugenische Indikation vorlag, aber ausnahm. Diese Regelung blieb umstritten: Ärzte legten insbesondere die soziale Indikation zunehmend weiter aus, so dass bereits Arbeitslosigkeit als Begründung ausreichte. Der Fall der Mauer brachte das Thema dann erneut auf die Tagesordnung.

Weiter Beratung von Donum Vitae

Im Bundestag wurde im Frühsommer 1992 mit harten Bandagen gekämpft. Es gab mehr als 100 Wortmeldungen. Die Grünen forderten die Legalisierung der Abtreibung ohne Frist, die Union war uneins: Ein Teil verlangte ein völliges Verbot. Ein anderer Teil stimmte mit FDP und SPD. Auch außerhalb des Parlaments schlugen die Wogen hoch: Der Fuldaer Erzbischof Johannes Dyba sprach vom "Kinder-Holocaust". Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein unkte, Deutschland treibe "auf einen Kirchenkampf zu".

Mit dem "Schwangeren- und Familienhilfe-Änderungsgesetz" von 1995 beruhigte sich die Lage politisch und rechtlich. Die katholische Kirche allerdings fand sich nicht damit ab, die für eine Abtreibung notwendigen Beratungsscheine ausstellen zu müssen. Ende 1999 verkündeten die Bischöfe auf Verlangen des Papstes das Aus für die kirchliche Schwangerenkonfliktberatung im staatlichen System. Der von engagierten Katholiken gegründete Verein Donum Vitae setzt die Beratung allerdings weiter fort.

 

Unterdessen geht die Zahl der Abtreibungen Jahr für Jahr leicht zurück: 2016 wurde mit rund 98.700 Abtreibungen ein Tiefststand seit der Wiedervereinigung gemeldet. Verschärft wird die Problematik allerdings durch immer weiter entwickelte vorgeburtliche Tests. So ist der sogenannte Pränatal-Test, bei dem bereits durch genetische Analyse im Blut von Schwangeren auf Chromosomenstörungen des ungeborenen Kindes geschlossen werden kann, in Deutschland seit 2012 verfügbar. Derzeit beraten die Kassen, ob er in den Leistungskatalog übernommen wird.


Demonstrationen 1973 / © kna (KNA)
Demonstrationen 1973 / © kna ( KNA )
Quelle:
KNA