Vor 25 Jahren: Teilungsbeschluss für die Tschechoslowakei

Wie über Nacht das wohl "atheistischste Land" Europas entstand

Der Teilungsbeschluss für die Tschechoslowakei Ende August vor 25 Jahren hatte auch Folgen für die Kirchen. Die stark atheistisch geprägten Tschechen wurden plötzlich "Glaubensschlusslicht" Europas, trotz vorausgegangenen Papstbesuchs.

Autor/in:
Hans-Jörg Schmidt
Statue von Tomas Garrigue Masaryk, des Gründers der Tschechoslowakei, vor der Prager Burg / © Kilian Kirchgeßner (epd)
Statue von Tomas Garrigue Masaryk, des Gründers der Tschechoslowakei, vor der Prager Burg / © Kilian Kirchgeßner ( epd )

Als Papst Johannes Paul II. im April 1990 für zwei Tage in die Tschechoslowakei reiste, wurde er von einer starken Sympathiewelle getragen. Es war seine erste Reise überhaupt in ein Land des früheren Ostblocks nach der "Wende". Erst kurz davor waren die diplomatischen Beziehungen zwischen der Tschechoslowakei und dem Heiligen Stuhl wieder aufgenommen worden.

An den öffentlichen Schulen wurde wieder Religionsunterricht möglich. Die Theologischen Fakultäten wurden wieder den Universitäten Prag und Bratislava eingegliedert, eine neue in Olmütz gegründet. Es gab die unglaubliche Zahl von 869 Theologiestudenten im tschechischen Landesteil. In der Slowakei war die Zahl noch weit höher.

Ernüchterung folgt auf Euphorie

Der spätere Prager Kardinal Miloslav Vlk (1932-2017) bekam feuchte Augen, als er Jahre darauf auf diese Zeit angesprochen wurde: "Wir haben geglaubt, dass die Menschen, vor allem die jungen, uns nach der Papst-Visite als neue Gläubige die Kirchentore einrennen werden." Immerhin waren es auch viele Christen gewesen, die dem Drang nach Freiheit wichtige Impulse gegeben hatten.

Doch die Ernüchterung ließ nicht lange auf sich warten. Der polnische Papst legte bei seinem Besuch vor allem Wert auf die politische, demokratische Erneuerung. Über die geistige Erneuerung sprach er eher wenig. Wohl auch, weil es gerade in der katholischen Kirche der Tschechoslowakei eine Reihe spezieller Probleme gab, derer man sich in Rom nur schwer anzunehmen vermochte. Was etwa sollte aus der von den 40 Jahre herrschenden Kommunisten unterwanderten Kirche der "Friedenspriester" werden? Und was aus den im Sozialismus geheim geweihten Priestern, von denen nicht wenige verheiratet oder gar Frauen waren?

Nationale Stimmungen zwischen Tschechen und Slowaken

Während man einige der dringendsten personellen Probleme an der kirchlichen Basis lösen konnte, Restitutionsfragen anging, die Religionsfreiheit verankerte und die Kirchen von staatlicher Bevormundung frei machte, dräute ein völlig neuer Konflikt: Zunehmend kamen nationale Stimmungen zwischen Tschechen und Slowaken auf.

Die Slowaken wollten mehr Eigenständigkeit, wehrten sich gegen den harten wirtschaftlichen Reformkurs der Tschechen, der die Slowakei mehr als Böhmen und Mähren traf. Die Spitzenpolitiker beider Landesteile, Vaclav Klaus und Vladmir Meciar, sahen bei ihrem entscheidenden Treffen Ende August, vor 25 Jahren, in der Brünner Villa Tugendhat weniger Gemeinsames als Trennendes - und gaben so Grünes Licht für die Teilung des Landes.

Bischöfe gegen Trennung

Die katholische Kirche im tschechischen Landesteil hatte vor diesem Schritt gewarnt. Sie räumte aber ein, dass die Slowaken in den Jahrzehnten des Zusammenlebens benachteiligt worden seien. Kardinal Vlk bat die Slowaken dafür sogar in Fernsehen um Vergebung. Auch die slowakischen Bischöfe sprachen sich gegen die Trennung aus. Sie traten aber dem neu aufbrechenden Nationalismus in ihrem Landesteil auch nicht entschieden entgegen. Am Ende begrüßten sie gar die slowakische Souveränitätserklärung.

Einige Monate später, in der Silvesternacht 1992, endete der gemeinsame Staat. Die neu entstandene Tschechische Republik wurde so über Nacht zum wohl "atheistischsten Land" Europas. 1991 hatten sich 60 Prozent der Slowaken als katholisch bezeichnet, aber nur 40 Prozent der Tschechen. Gingen in der Slowakei 29 Prozent der Gläubigen zum Gottesdienst, waren es im tschechischen Landesteil gerade mal zehn Prozent. Damit schlugen die Tschechen sogar die Ex-DDR statistisch aus dem Felde.

Katholische Vorgeschichte

Die Vorgeschichte: Im heutigen Tschechien hatten die Habsburger über Jahrhunderte die Böhmen und Mähren rekatholisiert - gegen deren Willen. Mit den Sudetendeutschen wurde zudem nach dem Zweiten Weltkrieg eine christliche Bevölkerungsgruppe vertrieben. In der Slowakei dagegen gab es schon immer eine starke katholische Volkskirche, die auch während der kommunistischen Herrschaft weitgehend durchgehalten hatte.

Dramatische Folgen für die Kirche hatte die Teilung der Tschechoslowakei freilich nicht. Der österreichische Religionsjournalist Peter Musyl sieht den Grund dafür darin, "dass die beiden nach Geschichte und kirchlicher Prägung unterschiedlichen Landesteile seit der Gründung der Tschechoslowakei 1918 nie wirklich zusammengewachsen" seien.


Früherer Prager Erzbischof Miloslav Vlk verstorben  / © Dole·al Michal (dpa)
Früherer Prager Erzbischof Miloslav Vlk verstorben / © Dole·al Michal ( dpa )
Quelle:
KNA