Vor 50 Jahren begann das Pontifikat von Paul VI.

Der Reformer

Vor 50 Jahren, am 30. Juni 1963, wurde Paul VI. zum Papst gekrönt. Am Ende seiner 15-jährigen Regierung hatte die katholische Kirche ein anderes Gesicht.

Autor/in:
Christoph Schmidt
Paul VI. (Vatikan)

Die Welt wandelte sich rasend schnell und die Kirche stand mitten im größten Konzil ihrer Geschichte, als die Wahl auf ihn fiel. Gedrängt hatte sich der Mailänder Kardinal Giovanni Battista Montini nicht nach dem Stuhl Petri. "Hier bin ich, gekreuzigt mit Christus", soll er am Schluss des Konklaves gesagt haben.

Zum letzten Mal wurde einem Papst die Tiara aufs Haupt gesetzt, das Symbol des päpstlichen Machtanspruchs über den Erdball. Später trug sie Paul VI. nie mehr, und kein Pontifex hat sie seitdem wieder aufgesetzt. Auf den zurückhaltenden Mann wartete innerkirchlich das vielleicht schwierigste Erbe, das ein Papst des 20. Jahrhunderts übernehmen musste.

Schon rein äußerlich wirkte der feingliedrige Montini wie das Gegenbild zu seinem volkstümlichen Vorgänger Johannes XXIII. 1897 als Sohn eines Rechtsanwalts im norditalienischen Concesio geboren, hatte er die päpstliche Diplomaten-Akademie durchlaufen und 30 Jahre im vatikanischen Staatssekretariat gearbeitet. "Immer höflich, manchmal scheu", so beschrieben ihn Zeitgenossen. Doch als er 1954 Erzbischof in der Industriemetropole Mailand wurde, suchte der kühl wirkende Intellektuelle das Gespräch auch mit Arbeitern in Fabrikhallen und auf Baustellen, über denen bei Streiks oft rote Fahnen flatterten.

Anfeindungen beider Seiten

Der neue Papst ließ keinen Zweifel daran, dass er das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) fortsetzen würde: "Dafür wollen wir alle Kräfte einsetzen, die der Herr uns gegeben hat." Behutsam, abwägend, aber zügig lenkte er die Bischöfe durch drei Sitzungsperioden. Die Grenzen und Gefahren für eine 2.000-jährige Institution, die den Anspruch auf Wahrheit verkörpert, waren ihm dabei immer bewusst. Sie erforderten ein Gespür, das die Kräfte eines einzelnen beinahe überfordern musste.

Doch der persönliche Preis dafür war hoch. Als der Papst das Konzil am 8. Dezember 1965 schloss, kamen dessen Dokumente für Traditionalisten wie dem französischen Erzbischof Lefebvre und manchen Kurienvertreter einem Erdbeben gleich - und blieben für die Progressiven weit hinter den Erwartungen zurück. Für die einen war das Bekenntnis zur Glaubensfreiheit, die Öffnung der Liturgie für die Volkssprache, die Anerkennung anderer Religionen als Dialogpartner schierer Verrat an der Botschaft Jesu. Die anderen verübelten ihm das Beharren auf dem päpstlichen Primat etwa gegenüber den vom Konzil beschlossenen Bischofssynoden. Unter den Anfeindungen beider Seiten hat Paul VI. gelitten.

Auch politisch setzte der erste "Reisepapst" der Neuzeit Impulse, schon weil er die Zahl der vatikanischen Nuntiaturen verdoppelte; seine Wegestrecke reicht von Südamerika bis Fernost. Sein Friedensappell vor den Vereinten Nationen in New York 1965 galt vor dem Hintergrund des eskalierenden Vietnam-Kriegs als Meilenstein. Als erster Papst begann er Gespräche mit der Sowjetunion und dem atheistischen Ostblock, gegen die Proteste konservativer Kreise.

Historisches leistete er für die Ökumene. Die Umarmung mit dem Ökumenischen Patriarchen Athenagoras auf seiner Heilig-Land-Reise 1964 und die spätere Aufhebung des gegenseitigen Bannfluchs von 1059 leiteten eine neue Epoche der Kirchengeschichte ein.

Enzyklika "Humanae vitae"

Paul VI. suchte den Dialog mit der Welt, als die sich zumindest im Westen heftiger denn je von der Kirche abwandte. Gegen die linke Kulturrevolution der 1960er und 1970er Jahre wirkte er oft machtlos.

Die negativen Reaktionen auf Pauls Enzyklika "Humanae vitae", in der er sich 1968 gegen die grundsätzliche Trennung von Sexualität und Familienplanung durch künstliche Verhütungsmittel wandte, machten die Kluft deutlich. Dass er im Vorjahr den berüchtigten "Antimodernisteneid" für Priester abgeschafft hatte oder in seiner Sozialenzyklika "Populorum progressio" (1967) eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung forderte, ging bei seinen Gegnern fast unter.

Das schwierige Pontifikat forderte Tribut. Pauls Kräfte ließen in der zweiten Hälfte sichtlich nach und verließen ihn am 6. August 1978 ganz. Für viele bleibt er der größte Papst des 20. Jahrhunderts.


Quelle:
KNA