Seine Bücher erzielten Millionenauflagen, Papst Franziskus zitiert in seinen Lehrschreiben keinen anderen Theologen häufiger, aber seine wahre Größe beschreibt etwas anderes: Romano Guardini (1885-1968), äußerlich ein kleiner, unscheinbarer Mann, konnte Sätze formulieren, die Leben retten. "Geborgenheit im Letzten gibt Gelassenheit im Vorletzten", lautet einer. Dieses Wort, so bekannte der Priester und KZ-Überlebende Hermann Scheipers bis ins hohe Alter, habe ihm und seinen Mithäftlingen geholfen, die Hölle von Dachau zu überstehen, ohne an der Seele Schaden zu nehmen.
Seligsprechungsprozess
Am 1. Oktober vor 50 Jahren starb Guardini in München. Die Universität, an der er lehrte, ehrt ihn am Montag mit einer akademischen Feier. Kardinal Reinhard Marx feiert in der Universitätskirche Sankt Ludwig einen Gedenkgottesdienst. Der Sohn eines Veroneser Kaufmanns hielt dort von 1949 bis 1962 vielbeachtete Predigten, sein Grab befindet sich in einer Seitenkapelle.
Vor einem Jahr eröffnete Marx einen Seligsprechungsprozess für den Religionsphilosophen und Theologen, der 1952 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhielt. Papst Franziskus, der in den 1980er Jahren in Deutschland eine Doktorarbeit über Guardini anfertigen wollte, hat Marx ermuntert, sich mit den Nachforschungen zu beeilen.
"Sanfter Revolutionär religiösen Denkens"
Eugen Biser beschrieb Guardini einmal als "sanften Revolutionär religiösen Denkens". Seinen Münchner Nachbarn erschien der Professor und Priester als leutescheu, aber kinderlieb. Als Pädagoge hinterließ der Deutsch-Italiener den nachhaltigsten Eindruck. Wie wenige verstand er es, Leser und Zuhörer in seine Sichtweise einzubeziehen.
Als ein Meister des Dialogs suchte er den Austausch vor allem mit jüngeren Leuten. In Berlin und nach dem Krieg in Tübingen und München bekleidete er eigens auf ihn zugeschnittene Lehrstühle.
Der katholischen Jugendbewegung "Quickborn" wurde Guardini bald zum geistlichen Mentor. In deren Hauptquartier Burg Rothenfels am Main experimentierte er früh mit neuen Gottesdienstformen wie der Osternacht. Damit nahm er um Jahrzehnte die Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) vorweg. Eine Berufung als theologischer Fachberater zu dieser Bischofsversammlung musste er jedoch aus Gesundheitsgründen ablehnen.
"Weiße Rose"
Schon in den 1920er Jahren beschäftigte sich Guardini mit bis heute aktuellen Themen. Er sondierte die Grenzen des Wachstums und umriss eine ökologische Betrachtung der Politik. Auch seine Auseinandersetzung mit Hitler und dem Dritten Reich verdient nach Einschätzung des Politikwissenschaftlers Hans Maier noch mehr Aufmerksamkeit.
In seinem Hauptwerk "Der Herr", erstmals erschienen 1937, arbeitete Guardini heraus, dass Jesus ohne seine Verwurzelung im Judentum nicht zu verstehen sei. Damit immunisierte der Autor sein Publikum gegen das rassenideologisch motivierte "Deutsche Christentum" der Nationalsozialisten. Diese Lektüre inspirierte auch die studentischen Mitglieder der Widerstandsbewegung "Weiße Rose". Guardini indes verlor 1939 seinen Lehrstuhl, Burg Rothenfels wurde konfisziert. Die letzten drei Kriegsjahre versteckte er sich bei einem Freund im Allgäu.
Vom Sinn der Schwermut
Krankheiten waren stetige Begleiter im Leben des Gelehrten, der so tiefgründig über Dante und Dostojewski schreiben und sprechen konnte. Seine regelmäßig wiederkehrenden Depressionen suchte er auch religiös und intellektuell zu bewältigen. Davon zeugt sein seit 1928 mehrfach aufgelegtes Buch "Vom Sinn der Schwermut". Ab 1955 litt er unter nervösen Gesichtsschmerzen, die ihn sieben Jahre später zur Aufgabe seiner Lehrtätigkeit zwangen. Es wurde einsam um ihn. Über sein Werk, so fürchtete er, würde die Zeit hinweggehen.
Die Katholische Akademie Bayern, zu deren Gründern Guardini 1957 zählte, verwaltet heute seinen Nachlass. Dazu zählt auch eine stattliche Werkausgabe, die inzwischen 47 Einzelbände umfasst. Für hervorragende Verdienste um die Interpretation von Zeit und Welt vergibt die Akademie seit 1970 einen Romano-Guardini-Preis.