Vor 50 Jahren wurde das Bensberger Memorandum veröffentlicht

Manifest der Versöhnung

Das musste Protest auslösen: Im März 1968 veröffentlichte der "Bensberger Kreis" reformorientierter Katholiken ein Memorandum zur deutsch-polnischen Versöhnung - und empfahl darin die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze.

Autor/in:
Anselm Verbeek
 (DR)

Ein Papier erregte die westdeutsche Öffentlichkeit: Am 3. März 1968, vor 50 Jahren, veröffentlichte der sogenannte Bensberger Kreis sein mit Spannung erwartetes Memorandum deutscher Katholiken zu den polnisch-deutschen Fragen. Die linkskatholischen Vordenker, darunter die Publizisten Walter Dirks und Eugen Kogon, rührten an einem Tabu: Sie empfahlen die Anerkennung der Demarkationslinie östlich von Oder und Lausitzer Neiße als westliche Staatsgrenze Polens.

Verhältnis zwischen Polen und Deutschland

Das hatte bis dahin noch niemand gewagt. Seit Bestehen der Bundesrepublik galt als politischer Konsens, was im Potsdamer Abkommen geschrieben stand: Erst im Rahmen eines Friedensvertrags der Siegermächte mit Deutschland sollte die Westgrenze Polens endgültig festgelegt werden. Doch seit Mitte der 1960er Jahre standen die Zeichen auf Veränderung: Die Synode der Evangelischen Kirche billigte die Leitlinien einer Neuen Ostpolitik, die ihre Architekten Egon Bahr und Willy Brandt 1963 in der Akademie Tutzing vorgestellt hatten.

Als das Zweite Vatikanische Konzil in Rom sich 1965 dem Ende näherte, nutzten die polnischen Bischöfe den Dialog zu einer Versöhnungsgeste: In einem Brief an die deutschen Amtsbrüder beklagten sie das "Leid von Millionen Flüchtlingen" und der "vertriebenen Deutschen". Der Episkopat wollte einen Neubeginn starten: "Wir gewähren Vergebung und bitten um Vergebung." Die staatlich gelenkte Presse in Polen tobte: Offiziell gab es keine "vertriebenen Deutschen" - wozu dann "Vergebung"? Auf Moskaus Geheiß verstummte das Gespräch.

Zusammenschluss zum Bensberger Kreis

Doch die Friedensappelle des Konzils fanden Gehör. In Bensberg bei Köln schlossen sich Freunde der Friedensbewegung Pax Christi zum Bensberger Kreis zusammen, um Bewegung in die deutsch-polnischen Beziehungen zu bringen. Ein Einverständnis mit den katholischen Vertriebenen-Verbänden konnte nicht erzielt werden. Deshalb wurde die Denkschrift in eigenem Namen publiziert. Da die Ostpolitik der Großen Koalition unter Bundeskanzler Kurt Kiesinger auf der Stelle trat, war das Medienecho gewaltig.

Das Bensberger Memorandum beruft sich auf «die politische Verantwortung der Christen», nach dem Auftrag des Konzils "als Schrittmacher der Versöhnung" zu wirken. Die Denkschrift widmet sich den "Belastungen des polnisch-deutschen Verhältnisses". Voller Empathie werden die Leiden des polnischen Volkes unter deutscher Besetzung geschildert.

Solidarität mit vertriebenen Deutschen

Doch die Bensberger zeigen auch Solidarität mit den vertriebenen Deutschen: "Wir Deutschen haben den Verlust Ostdeutschlands als Amputation empfunden." Beklagt wird die Last einer riesigen "Hypothek": Im deutschen Bewusstsein sei Polen "selten als vollgültiger Staat akzeptiert" worden. Nach dem Ersten Weltkrieg habe sich die Abneigung zum Hass der Volkstumskämpfe gesteigert, auf dem die Nazis ihre rassistische Ideologie vom «slawischen Untermenschen» aufbauten.

Wie 1965 die polnischen Bischöfe rufen die Unterzeichner der Bensberger Denkschrift trotz der "fast hoffnungslos mit Vergangenheit belasteten Lage" zur Verständigung auf. Aber das Opfer, das vor allem den Heimatvertriebenen abverlangt wird, ist schmerzlich: Sie sollen sich keine Illusionen machen über eine Rückkehr und Entschädigung.

Druck auf die Bensberger war groß

Das Memorandum kann Umfragen anführen: Rückkehrträume verblassen. Nur hier leistet sich die Bensberger Denkschrift, ansonsten getragen von einem versöhnlichen Grundton, einen Seitenhieb auf die Vertriebenen-Funktionäre: Eine "Erblichkeit des Heimatrechts, die manche Politiker vertreten", sei "ideologische Manipulation". Dagegen sei das "Heimatrecht von Millionen Polen in Schlesien, Pommern und Ostpreußen brennend aktuell": Sie könnten zwar nicht auf jahrhundertealte Ansässigkeit zurückblicken. Aber die 1945 "unter polnische Verwaltung" gestellten Gebiete seien ihr Lebensraum geworden, so die Denkschrift.

Im März 1968 wirbelte das Bensberger Memorandum viel Staub auf. Größte Schelte musste das explosive Papier von Vertriebenen-Organen einstecken. Die polnische Presse kritisierte, dass nur die Anerkennung der "Oder-Neiße-Friedensgrenze" und nicht auch die der DDR gefordert wurde. Denn Ostdeutschland galt als zuverlässiger Sperrriegel zum Westen. Als der zarte Frühling in Prag unter rasselnden Panzerkolonnen der sozialistischen "Bruderländer" erstarb, kippte die Stimmung endgültig. Alles schimpfte auf die vermeintlich blauäugigen Bensberger.

Dank aus Polen

Da meldeten sich die polnischen Bischöfe zu einem späten Dank "für Ihren christlichen Mut, Ihren ehrlichsten guten Willen... getragen vom Geist des Evangeliums". In Bonn kam es zum Machtwechsel. Die sozialliberale Koalition leitete die ostpolitische Wende ein. Seit dem 3. Oktober 1990 ist die Oder-Neiße-Grenze die Ostgrenze des wiedervereinigten Deutschlands.


1946: Vertriebene steigen in einen Güterzug (KNA)
1946: Vertriebene steigen in einen Güterzug / ( KNA )

Grenzpfähle zwischen Deutschland und Polen / © Bernd Wüstneck (dpa)
Grenzpfähle zwischen Deutschland und Polen / © Bernd Wüstneck ( dpa )
Quelle:
KNA
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