Vor 50 Jahren wurde Riemenschneiders Rosenkranz-Madonna gestohlen

100.000 Mark und ein Ehrenwort

Mesner Philipp Jäcklein wurde um kurz nach vier Uhr am 7. August 1962 wach. Als die Geräusche an der Kapelle "Maria im Weingarten" oberhalb Volkachs nicht verstummten, ging er ans Fenster. Er sah nur noch Rücklichter. Mit dem Transporter verschwand auch die berühmte Riemenschneider-Madonna "Maria im Rosenkranz". Der spektakuläre Kunstraub jährt sich zum 50. Mal.

Autor/in:
Christian Wölfel
Wurde gestohlen: Die Riemenschneider-Madonna (KNA)
Wurde gestohlen: Die Riemenschneider-Madonna / ( KNA )

Die Diebe, die nach Sonnenuntergang die berühmte Wallfahrtskirche mitten in den Weinbergen heimsuchten, ahnten nicht, was für eine wertvolle gotische Schnitzerei sie neben anderen Preziosen unter großen Anstrengungen entwendet hatten. Über ein Fenster ließen sie sich mit einem Seil ins Kircheninnere hinab, stundenlang arbeiteten sie daran, die Madonna abzumontieren. Sie fiel herab, der Rosenkranz zerbrach, auch Engelsflügel und musizierende Putten brachen ab.



Die Stimmung auf der Rückfahrt von Volkach nach Bamberg muss angesichts des erfolgreichen Diebeszuges prächtig gewesen sein. So lange, bis sie in Oberfranken ihr Komplize, ein Bildhauer, auf den Boden der Realität zurückholte. "Ein Riemenschneider, den können wir nicht verkaufen", wird der Experte in Presseberichten aus den 1960er Jahren zitiert. Einer der Diebe soll danach gesagt haben: "Dann wird die Ludsi eben verbrannt." Der Bildhauer jedoch beschmierte das etwa eine Million Mark teure Schnitzwerk mit rotem Bohnerwachs und vergrub es auf seinem Grundstück in Hollfeld.



Die Polizei ermittelte ohne Erfolg. Und auch allabendliche Andachten der Gläubigen, in denen sie den Beistand der Gottesmutter erflehten, ließen die Madonna nicht zurückkehren.



Verschwiegenheit und ein Lösegeld

Das Kunstwerk wäre vielleicht bis heute verschollen, hätte sich nicht Verlegerlegende Henri Nannen eingemischt. Der studierte Kunsthistoriker beriet sich damals mit einem einstigen Kommilitonen, dem Leiter des Mainfränkischen Museums, Max Hermann von Freeden. Am 21. August 1962 erschien im "Stern" die Aufforderung "Gebt die Madonna von Volkach zurück!" Auch viele fränkische Blätter druckten den Appell, der den Dieben Verschwiegenheit und ein Lösegeld von 100.000 Mark zusicherte.



Als nichts geschah, drohte Nannen, die Summe für die Jagd auf die Täter zu verwenden. Daraufhin meldete sich ein Mann namens "Leininger" beim "Stern" und beschrieb auf Wunsch Einzelheiten des Bildwerks. Am 26. Oktober erhielten die Diebe die erste Hälfte des Lösegeldes, am 4. November schließlich im mittelfränkischen Großgründlach im Austausch gegen die Holzfigur den zweiten Teil. Am 12. November fuhr Nannen die Madonna schließlich ins Mainfränkische Museum. Nach eigenen Worten war es "der glücklichste Tag" seines Lebens.



Das Riemenschneider-Werk musste aufwendig restauriert werden, am 6. August 1963 kam es wieder nach Volkach, 364 Tage nach dem Raub. Nannen stand zu seinem Rückkauf, auch wenn er sich dem Verdacht der Begünstigung aussetzte. "Es ging mir allein darum, die Kunstwerke vor der Vernichtung zu retten", erklärte der Verleger später vor Gericht. Und ein einmal gegebenes Wort müsse auch gegenüber Verbrechern gehalten werden. "Das haben sogar Moraltheologen festgestellt." Die Volkacher dankten es Nannen mit der Ernennung zum Ehrenbürger.



Die Diebe wurden am Ende doch noch zur Rechenschaft gezogen. Der Tipp eines Ex-Häftlings brachte die Polizei Jahre später auf ihre Spur. Sie mussten für mehrere Jahre hinter Gitter. Die Madonna ist seit 1963 mit einer aufwendigen Alarmanlage gesichert. Die Volkacher pilgerten noch lange jedes Jahr nach "Maria im Weingarten" - zur Sühne für ihren Leichtsinn, mit denen sie den Dieben das Handwerk erleichtert hatten.