Da steht er und schaut auf den Verkehr zu seinen Füßen. Die Arme verschränkt, den Blick leicht skeptisch in die Ferne gerichtet. Die Haartolle sitzt bei jedem Wetter; klar, weil aus Tuffgestein gefertigt wie der Rest des John F. Kennedy-Denkmals in der ehemaligen westdeutschen Hauptstadt Bonn. Passanten eilen achtlos vorbei; Autos warten an der großen Kreuzung auf Grün. Vor 60 Jahren, im Sommer 1963, war der US-Präsident leibhaftig hier.
Bei seinem Deutschlandbesuch elektrisierte er die Massen - und das von Anfang an. "Zwei Stunden nach seiner Landung auf dem Flugplatz Wahn traf US-Präsident John F. Kennedy unter dem Jubel tausender begeisterter Menschen vor dem Kölner Dom ein", meldete am 23. Juni 1963 die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA).
Volksmesse mit dem Präsidenten
Gemeinsam mit dem greisen Bundeskanzler Konrad Adenauer wurde der 46-Jährige von Weihbischof Wilhelm Cleven "im Namen des in Rom weilenden Kardinal Frings" begrüßt. "Die hohen Gäste feierten anschließend eine Volksmesse mit." Der erste katholische US-Präsident nahm im Chorgestühl "im Ehrensitz für die Kaiser" Platz und stimmte dem Bericht zufolge mit in die Gebete und Gesänge ein.
Die Bundesrepublik bereitete dem Demokraten aus Washington einen wahrhaft königlichen Empfang. Und Kennedy streichelte die Seelen der Westdeutschen, die durch seinen Kurs gegenüber der Sowjetunion und durch den Bau der Berliner Mauer 1961 zutiefst verunsichert waren.
Vom Alten Rathaus aus rief der US-Präsident den schätzungsweise 45.000 Menschen auf dem Bonner Marktplatz zu: "Bonn ist eine Hauptstadt der Freien Welt."
Gedämpfte politische Großwetterlage
Über dem Rheinland schien die Sonne; die politische Großwetterlage war dagegen laut Historiker Manfred Görtemaker aus Sicht der Deutschen eher bewölkt: "Die Entschlossenheit Kennedys, durch eine Friedenspolitik den Rüstungswettlauf einzudämmen, um einen drohenden Atomkrieg abzuwenden, setzte die Stabilisierung des Status quo in Europa und damit die Anerkennung der deutschen Teilung voraus."
Für Kennedy ging es von Bonn aus zunächst weiter nach Hessen. In der Frankfurter Paulskirche beschwor er die gemeinsamen Ziele von Europäern und US-Amerikanern: "Friede und Freiheit für alle Menschen, für alle Zeiten, in einer Welt des Überflusses und der Gerechtigkeit." Am 26. Juni dann Abflug nach Berlin. Sechs Stationen umfasste seine Visite in der von der Mauer geteilten Stadt. Um kurz vor 13.00 Uhr erreichte der Konvoi des Präsidenten das Rathaus Schöneberg, wo ihn rund 450.000 Menschen erwarteten.
Sie "klatschten, winkten, weinten und jubelten, als handele es sich um die Wiederkunft Christi", erinnerte sich Kennedys Berater Arthur Schlesinger. Und Kennedy lieferte: "Vor 2.000 Jahren war der stolzeste Satz, den ein Mensch sagen konnte, der: 'Ich bin ein Bürger Roms.' Heute ist der stolzeste Satz, den jemand in der Freien Welt sagen kann: 'Ich bin ein Berliner.'" Die Aussprache des Lateinischen "Civis Romanus sum" und des Deutschen "Ich bin ein Berliner" hatte er sich zuvor lautgetreu auf eine Manuskriptkarte notiert.
"Flieg nach Deutschland"
Der Präsident verließ Berlin in Hochstimmung, wie Biograf Robert Dallek notierte. "In unserem ganzen Leben werden wir einen solchen Tag nicht wieder erleben." Seinem Nachfolger wolle er einen Brief mit der Aufschrift hinterlassen "In Zeiten der Niedergeschlagenheit zu öffnen." Drei Worte stünden darin: "Flieg nach Deutschland." Für Kennedy ging es im Anschluss nach Irland, Großbritannien und Italien wo er den frisch gekrönten Papst Paul VI. traf - der Grund im Übrigen, weshalb sich der Kölner Kardinal Josef Frings am Dom vertreten lassen musste.
Es war nicht zu ahnen, dass Kennedy zu diesem Zeitpunkt nur noch wenige Monate zu leben hatte. Am 22. November 1963 fiel er in Dallas einem Attentat zum Opfer. Seine Rede in Berlin bleibt unvergessen.
Eine Reproduktion der dazugehörigen Manuskriptkarte - "Ish bin ein Bearleener" - ist im Bonner Haus der Geschichte zu sehen. Zu gern wüsste man, was einer wie er über den Zustand der Welt von heute denken würde, die wieder einmal am Abgrund zu stehen scheint. Doch Kennedy bleibt natürlich stumm - genau wie seine Statue in Bonn.