"Vater der Flüchtlinge" wurde er genannt; den Friedensnobelpreis erhielt er am 8. Dezember 1958, vor 60 Jahren. Heute erinnern sich allerdings nicht mehr viele an den Dominikanerpater Dominique Georges Pire (1910-1969). Dabei zählte der Belgier zu den visionären Gestalten seiner Zeit, die im Nachkriegseuropa die Chance für eine neue Völkergemeinschaft sahen.
Am Anfang stand eine nüchterne Aktennotiz: "Der Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte unterrichtet das Kabinett, dass er in seiner Eigenschaft als Ehrenmitglied der 'Hilfe für heimatlose Ausländer e.V.' durch den Präsidenten der Beratenden Versammlung des Europarats, Delhousse, gebeten worden sei, den belgischen Pater Dr. D. Pire, der sich durch den Bau von Dörfern für heimatlose Ausländer große Verdienste erworben habe, für den Friedensnobelpreis vorzuschlagen." In den Kabinettsakten der Bundesregierung vom 1. März 1957 heißt es weiter: "Das Kabinett erhebt keinen Widerspruch."
Es ging ihm um ein "Europa des Herzens"
Der damalige Vertriebenenminister Theodor Oberländer kam für 1957 zu spät. Doch ein Jahr später hatte der deutsche Vorschlag Erfolg. Im Rathaus von Oslo erhielt der Dominikaner aus Belgien als erster katholischer Geistlicher den Friedensnobelpreis. Dem Ordensmann ging es um ein "Europa des Herzens", ein Europa ohne Grenzen zwischen den Menschen. In den Kriegs- und Nachkriegsjahren gründete der hochgewachsene, hagere Mann eine Fülle von Hilfsinitiativen für Flüchtlinge. Die Vertriebenen, Heimatlosen nannte er die "menschlichen Überbleibsel Europas".
Im Hauptberuf war Pire Ethiklehrer an der Schule seines Heimatklosters. Geboren im belgischen Dinant, trat er mit 18 Jahren in den Dominikanerkonvent La Sarte nahe Huy ein. Dort lehrte er nach seiner römischen Promotion ab 1937 zehn Jahre lang Moralphilosophie. Der Zweite Weltkrieg verhinderte, dass Pire über das Gute nur theoretisch dozierte. Schon 1938 gründete er zwei Hilfsorganisationen für Waisenkinder. In Huy wurden nach Kriegsausbruch auf seine Initiative hin Kinder aus bombengefährdeten Gebieten Belgiens und Frankreichs aufgenommen. Zudem engagierte sich Pire im Widerstand, schmuggelte unter anderem alliierte Piloten aus dem Land.
Hilfe für heimatlose Ausländer nach dem Kriegsende
Nach Kriegsende gründete er 1950 die Hilfsorganisation "Aide aux Personnes Deplacees" (Hilfe für heimatlose Ausländer), die sich um rund 60.000 Flüchtlinge kümmerte. Auch vermittelte Pire Adoptionen für mehr als 15.000 heimatlose Kinder und gründete Heime für ältere Flüchtlinge. Bauliche Spuren hinterließ das Hilfswerk des Dominikaners besonders mit den sogenannten Europadörfern. 1956 wurde die erste dieser Wohnsiedlungen für Vertriebene in Aachen eröffnet; sechs weitere folgten bis 1962 in Deutschland, Österreich und Belgien. Unermüdlich reiste Pire durch Europa, um Spenden zu sammeln.
Dabei ging es ihm nicht nur um die materielle Versorgung. Immer wieder wies er auf die "seelische Entwurzelung" der Flüchtlinge hin. "Diese Entwurzelung bringt das schlimmste Unglück mit sich, das einen Menschen treffen kann - den Verlust des Glaubens an die Möglichkeit der Bruderliebe." Nach Erhalt des Friedensnobelpreises widmete sich Pire verstärkt der Friedensarbeit. Er sagte: "Wir haben bereits Kriegsakademien, Militärhochschulen und Institute für Kriegsforschung. Was wir jetzt brauchen, sind Friedensuniversitäten."
"Friedensinsel" im Osten Pakistans
1960 gründete er in Huy die erste dieser Friedensuniversitäten - an der sich bis heute Wissenschaftler aus aller Welt austauschen. 1962 gründete er zudem die erste "Friedensinsel" im Osten Pakistans. 1967 folgte eine weitere in Indien. In diesen Dörfern in Konfliktregionen setzte er unter der Maxime "Hilfe zur Selbsthilfe" Maßstäbe für Entwicklungsarbeit in der Landwirtschaft.
"Die Menschen bauen zu wenige Brücken und zu viele Mauern", war das Motto seiner Suche nach Verständigung unter den Völkern. Am 30. Januar 1969 starb Georges Pire überraschend, nur 58-jährig, nach Komplikationen einer Operation im belgischen Löwen.