Vor 75 Jahren wurden die "Nürnberger Gesetze" beschlossen

Als der Rassenwahn Gesetz wurde

Vor 75 Jahren verabschiedete der Reichstag in Nürnberg die sogenannten Nürnberger Gesetze. Unter dem Deckmantel der Legalität setzten die Nationalsozialisten damit den entscheidenden Schritt zur Ausgrenzung der deutschen Juden. Der Rassenwahn bekam Gesetzesform.

Autor/in:
Peter Reindl
 (DR)

Zur Verabschiedung der Rassegesetze am 15. September 1935 ließ Hitler den Reichstag kurzfristig in Nürnberg zusammentreten, wo gleichzeitig der Reichsparteitag der NSDAP stattfand. Er wollte nach Einschätzung von Historikern antijüdische Übergriffe, die Fanatiker überall im Reich auf eigene Faust verübten, in staatlich kontrollierte Bahnen lenken. Hitler fürchtete, dass allzu hitzköpfige Parteigenossen bürgerlich denkende Deutsche und das Ausland verprellen könnten.



Zwei Texte wurden schließlich verabschiedet: Mit dem "Reichsbürgergesetz" billigten die Nationalsozialisten nur "Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes" die Reichsbürgerschaft zu. Juden wurden zu Staatsangehörigen zweiter Klasse und ihrer politischen Rechte beraubt.



"Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre"

Besonders berüchtigt wurde das zweite Gesetz, das der zu Hitlers Akklamationsorgan degradierte Reichstag ebenfalls einstimmig verabschiedete: das "Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre". Es verbot die Ehe zwischen Juden und anderen Deutschen. Außerehelicher Geschlechtsverkehr zwischen Angehörigen der beiden Gruppen wurde mit Zuchthaus bedroht. "Rassenschande", das Schlagwort des Pöbels, wurde damit zu einem Begriff der Justiz.



Zudem durften Juden "deutschblütige" Frauen unter 45 Jahren nicht in ihrem Haushalt beschäftigen. Auch das Hissen der Reichsflagge wurde ihnen verboten. Zwei Tage danach schrieb der als Jude verfolgte Dresdner Romanistik-Professor Victor Klemperer in sein Tagebuch: "Der Ekel macht einen krank."



Schon Mitte November kamen die ersten Ausführungsvorschriften. Sie legten fest, wer als Jude, Halbjude, "jüdischer Mischling" oder "Geltungsjude" zu behandeln sei. Juden wurde das Wahlrecht entzogen und das Recht, öffentliche Ämter zu bekleiden. Beamte jüdischer Herkunft verloren ihre Arbeit.



Ungezählte Anklagen folgen

Ungezählte Anklagen wegen "Rassenschande" folgten. Traurige Berühmtheit erlangte der Schauprozess gegen den Nürnberger Geschäftsmann Leo Katzenberger. Wegen angeblicher Liebesbeziehung zu einer "Arierin" wurde er 1942 hingerichtet. Der Film "Leo und Claire" mit Michael Degen und Suzanne von Borsody setzt ihm ein Denkmal.



Das Original der Rassegesetze befindet sich im Nürnberger Stadtarchiv. Ein weiteres Exemplar nahm der US-General George S. Patton als Souvenir mit nach Kalifornien, wo er es der Huntington Library aushändigte. Diese übergab es erst vor wenigen Tagen dem amerikanischen Nationalarchiv in Washington, wo zahlreiche Dokumente aus der NS-Zeit aufbewahrt werden.