Propaganda-Minister Joseph Goebbels riet zum "Totstellen und Ignorieren". Zwar war die vor 80 Jahren veröffentlichte Enzyklika des Papstes "Mit brennender Sorge", von der die Gestapo am 20. März 1937 Wind bekommen hatte, nach seiner Meinung eine gegen Deutschland gerichtete Provokation und eine Kampfansage. Doch der Minister hielt nichts vom Gestapo-Einsatz in letzter Minute. Statt spektakulärer Verhaftungen plädierte er für Bestrafungsaktionen im Nachhinein.
Das von Papst Pius XI. mit dem Datum vom 14. März 1937 unterzeichnete Schreiben konnte deshalb am Palmsonntag, dem 21. März, in fast allen 11.500 Pfarreien des Reiches verlesen und unter der Hand in hoher Auflage verteilt werden. Reinhard Heydrich, Chef des Geheimen Staatspolizeiamtes, beauftragte die Gestapo lediglich, die Verlesung der "hochverräterischen Angriffe" zu überwachen und alle außerhalb der Kirche greifbaren Exemplare zu beschlagnahmen.
Harsche Kritik an der antichristlichen Kampagne
"Mit brennender Sorge und steigendem Befremden beobachten Wir seit geraumer Zeit den Leidensweg der Kirche, die wachsende Bedrängnis der ihr in Gesinnung und Tat treubleibenden Bekenner und Bekennerinnen..." So begann der damals bereits 80-jährige, kränkelnde Papst Pius XI. seine harsche Kritik an der antichristlichen Kampagne des NS-Regimes. In Deutschland sei ein "Vernichtungskampf" gegen die Kirche im Gange.
Mit Verboten von Jugend- und Berufsverbänden, Einschränkungen für das Schul- und Ordenswesen und Anklagen wegen Devisen- und Sittlichkeitsvergehen gegen Ordensleute waren die Nazis seit 1935 gegen die Kirche vorgegangen. Jetzt wurde auch Pius XI., der 1933 mit dem Reichskonkordat eher einen Besänftigungskurs gegenüber den Nazis verfolgt hatte, deutlich: Er warnte davor, mit Begriffen wie "Volk", "Rasse" oder "Staat" einen "Götzenkult" zu betreiben. Ebenso verurteilte er die "Irrlehre von einem nationalen Gott".
Druckereien enteignet
Wenige Wochen später wurden mehr als zehn Druckereien, die die Enzyklika unter großer Geheimhaltung gedruckt hatten, enteignet. Das Regime nahm seine Kampagne gegen die Kirche sowie die Schauprozesse gegen Ordensleute demonstrativ wieder auf.
Für den Papst bedeutete die Enzyklika einen Balance-Akt: Zur Vorbereitung hatte er neben den drei Kardinälen Adolf Bertram von Breslau, Michael Faulhaber von München und Karl Joseph Schulte von Köln auch die Bischöfe Clemens August Graf von Galen aus Münster und Konrad Graf von Preysing aus Berlin in den Vatikan bestellt.
Große Aufsehen
Beide galten als Befürworter öffentlicher Proteste gegen die Nazis, während vor allem Kardinal Bertram an seiner Politik der nicht-öffentlichen Eingaben bei Hitler festhielt. Balance halten wollte Pius auch zur zweiten totalitären Macht: Stalins Russland. Bereits am 19. März veröffentlichte er deshalb die Enzyklika "Divini Redemptoris", in der die Kirche Materialismus und Marxismus verurteilte.
"Mit brennender Sorge" löste im In- und Ausland großes Aufsehen aus. Den Kurs des NS-Regimes änderte die Enzyklika jedoch nicht. Trotz der klaren Sprache gegen die NS-Ideologie weist das Hirtenwort des 1939 gestorbenen Papstes zumindest aus heutiger Sicht deutliche Lücken auf: Zwar bekundete er den Priestern und Ordensleuten im KZ sein Mitgefühl; das System der Konzentrationslager wird jedoch nicht angeprangert. Zwar würdigte der Papst die Schriften des Alten Testamentes. Doch für das verfolgte Judentum fand er ebenso wenig Worte wie für Christen anderer Konfessionen oder für politisch Verfolgte.
Kein Eintreten für alle Menschen
Die Enzyklika muss deshalb - angesichts eines drohenden Kirchenkampfes - in erster Linie als Verteidigung der eigenen Institution und der religiösen Überzeugungen gewertet werden. Das räumten mehr als 50 Jahre später auch die Bischöfe Deutschlands und Österreichs in einem Wort zum 50. Jahrestag der Novemberpogrome von 1938 ein. Es bedrücke sie, dass "das Eintreten für die elementaren Rechte aller Menschen" unterblieb.
In jüngster Zeit haben neue Forschungen das frühere Bild Pius XI. als Fels in der totalitären Brandung weiter revidiert. Der große Anteil des strikten Antidemokraten am Machtausbau des italienischen Faschismus unter Mussolini ist inzwischen erwiesen. Allerdings versuchte er auch hier das Schlimmste zu verhindern: Gegen die faschistischen Rassegesetze von 1938 begann er mit den Vorbereitungen für eine Enzyklika, die den Antisemitismus verurteilen sollte. Der Tod des Papstes im Jahr 1939 verhinderte jedoch das Vorhaben.