Vor einem Jahr wurde die Christin in Pakistan zum Tode verurteilt

Die Leiden der Asia Bibi

Seit zwei Jahren ist Asia Bibi in einer fensterlosen Zelle im Gefängnis im pakistanischen Sheikhupura eingesperrt. Das dreckige Verlies ist die Todeszelle der vor genau einem Jahr zum Tod durch Erhängen verurteilten. Ihr Vergehen: Die Christin hat aus einem Brunnen getrunken.

Autor/in:
Michael Lenz
 (DR)

Wenn sie die Arme ausbreitet, kann sie die Wände berühren. Ihre Notdurft muss sie an Ort und Stelle ausüben. Eine Toilette gibt es nicht. Fehlanzeige auch bei medizinischer Hilfe. Ehemann Ashiq Masih berichtet von Folter, der seine Frau ausgesetzt sei. Das dreckige Verlies ist die Todeszelle der vor genau einem Jahr (11. November) zum Tod durch Erhängen verurteilten Mutter von fünf Kindern. Ihr Vergehen: Die heute 42-Jährige hat während der Feldarbeit in ihrem Dorf im Punjab Wasser aus einem Brunnen getrunken - zum Entsetzen der muslimischen Frauen. "Eine Christin hat unseren Brunnen verunreinigt", empörten sie sich. Asia Bibi wurde beschimpft, geschlagen, wegen "Blasphemie" angezeigt und verhaftet. Auf Blasphemie steht die Todesstrafe.



Asia Bibi erzählt ihre Leidensgeschichte in dem Buch "Blaspheme". Weil sie aber in Isolationshaft sitzt und Analphabetin ist, hat Anne-Isabelle Tollet die Geschichte aufgeschrieben. "Asia Bibi hat das Buch mit ihrer Stimme geschrieben. Ich war nur der Stift", sagt die französische Journalistin, die für den TV-Sender "France 24" als Korrespondentin in Pakistan war. Die Stimme von Asia Bibi hat Tollet nie gehört. "Die Behörden haben mich nicht zu ihr gelassen", sagt Tollet. "Sie wollen verhindern, dass internationale Medien über Asia Bibi berichten." Ihre Fragen hat Tollet über den Ehemann übermittelt. Das fertige Manuskript wurde Asia Bibi von ihrem Anwalt vorgelesen.



Die radikalen Anhänger der Taliban haben Pakistan fest im Griff

Unter dem Titel "Rettet mich! - Zum Tode verurteilt wegen eines Bechers Wasser" ist das Buch seit kurzem auch auf Deutsch erhältlich. Tollet ist überzeugt: "Internationale Aufmerksamkeit ist die einzige Hoffnung, Asia Bibis Leben zu retten." Papst Benedikt XVI. hatte schon kurz nach dem Todesurteil die Freilassung von Asia Bibi gefordert.



In Pakistan gibt es kaum noch jemanden, der sich öffentlich für Asia Bibi einsetzt. Die letzten, die das wagten, sind tot. Im Januar wurde Salman Taseer, Gouverneur des Punjab, von seinem Leibwächter ermordet. Im März fiel der Christ Shahbaz Bhatti, Minister für Minderheiten in Pakistans Regierung, einem Attentat zum Opfer. Die radikalen Anhänger der Taliban haben Pakistan fest im Griff, terrorisieren die schweigende Mehrheit.



Während Asia Bibi in ihrer Zelle eingesperrt ist, wird der von einem Antiterrorgericht zum Tode verurteilte Leibwächter Mumtza Qadri von den Radikalen als Volksheld gefeiert. Die Berufung Qadris gegen das Todesurteil wurde vom Hohen Gericht in Islamabad umgehend angenommen - während über den schon vor einem Jahr gestellten Berufungsantrag Asia Bibis noch nicht entschieden ist.



Immer groteskere Formen

Das Blasphemiegesetz wird willkürlich angewendet. Gegen Christen, gegen die Anhänger der geächteten muslimischen Glaubensrichtung Ahmadiyya, aber auch gegen Muslime. "Die meisten Angeklagten sind Muslime", weiß Tollet. "Der Vorwurf der Blasphemie dient dabei als Vorwand, um Familienstreitigkeiten und Geschäftsdispute zu lösen."



Die Blasphemievorwürfe nehmen immer groteskere Formen an. Jüngstes Opfer wurde vor wenigen Wochen Faryal Bhatto in Abbottabad. Die 13-jährige Christin hatte in einem Schulaufsatz über den Propheten Mohammed ein Wort falsch geschrieben und dadurch seine Bedeutung von "Lobhymnus" in "Fluch" geändert. Für die Schulleitung und Islamisten war der Rechtschreibfehler mehr: Blasphemie. Das Mädchen wurde beschimpft, es kam zu Demonstrationen, die Familie floh.



Die Christen in Abbottabad fürchten seitdem um ihre Sicherheit. So wie auch Asia Bibis Familie, die sich verstecken muss. Und wie Asia Bibi selbst, der gleich von zwei Seiten der Tod droht. Nicht nur die Justiz könnte ihr Todesurteil vollstrecken - zugleich besteht die Gefahr eines Mordanschlags islamischer Fanatiker. Mullahs haben umgerechnet 5.000 Euro auf ihren Kopf ausgesetzt.