DOMRADIO.DE: Offizieller Hintergrund der Reise war die Erinnerung an das Treffen von Papst Paul VI. mit dem orthodoxen Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel 50 Jahre zuvor. Heute erinnert man sich an die interreligiösen Friedensappelle und Gesten von Papst Franziskus. Ist der Frieden in Nahost der eigentliche Beweggrund für diese Reise vor zehn Jahren gewesen?
Matthias Kopp (Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz und Nahostexperte): Es war eine hochpolitische und zugleich pastorale Reise, die ich damals mit begleiten konnte.
Sie begann in Jordanien und nicht wie bei früheren Papstreisen in Israel. Der Vatikan hatte es geschafft einen Hubschrauberflug des Papstes von Amman in Jordanien nach Bethlehem zu organisieren.
Von da aus ist der Papst nach Tel Aviv in Israel gereist. Das war schon ein Zeichen vor zehn Jahren, dass die vatikanische Diplomatie soweit war, zum einen den Staat Palästina anzuerkennen und zum anderen aufzuschauen und die Palästinenser ernst zu nehmen.
Das war damals eine politische Sensation, die wichtig war. Zugleich war es dem Papst ein Anliegen. Das hat er sofort nach der Landung in Amman gesagt, aber in Bethlehem und in Jerusalem wiederholt. Ich komme als Seelsorger, ich will die Christinnen und Christen besuchen, aber ich will auch die andere Glaubensrichtung verstehen und mit ihnen in einen Dialog treten.
Deshalb war es eine politische Reise mit Friedensaspekten. Es war zugleich ein wichtiger Pastoralbesuch, der in den Gemeinden, glaube ich, länger gewirkt hat als er gedauert hat.
DOMRADIO.DE: Auf die Reise seines Vorgängers, von Benedikt XVI., fünf Jahre zuvor, wird mit gemischtem Urteil zurückgeblickt. Hatte Papst Franziskus als nicht-deutscher Papst bessere Voraussetzungen für einen Besuch in Israel? Oder hat er die besseren Worte und Gesten gewählt? Was ist Ihre Einschätzung?
Kopp: Ich finde, beide Päpste waren gleich gut. Ich kann sogar sagen, alle drei Päpste waren gleich gut. Johannes Paul II., Benedikt XVI. und Papst Franziskus. Ich habe alle erlebt, wie sie versucht haben, Politik und Pastoral zu verbinden, jeder auf seine Weise.
Johannes Paul II. im Jahr 2000 mit der Aufnahme von diplomatischen Beziehungen zwischen Israel und dem Heiligen Stuhl. Papst Benedikt XVI. als Deutscher, Papst Franziskus als jemand, der gerne Außenpolitik macht.
Alles fokussierte sich bei den drei Reisen auf die Rede der Päpste in der Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem. Ich finde, das hat Johannes Paul II. im Jahr 2000 ganz großartig gemacht, zu sagen, ich komme, um zu vergeben und um Vergebung zu bitten.
Benedikt sagte: "Ich komme, um zu schweigen, weil es nicht ein Wort gibt, das die Tragödie der Schoah größer ausdrücken kann als Schweigen." Franziskus kommt und stellt die biblische Frage: "Mensch, wie konntest du so tief fallen?"
Ich finde, alle drei Päpste waren gleich großartig. Das gilt auch für den pastoralen Aspekt der drei Reisen wie auch für den politischen.
DOMRADIO.DE: Was war aus Ihrer Sicht der Höhepunkt von Franziskus' Reise vor zehn Jahren ins Heilige Land?
Kopp: Es gab drei Höhepunkte, wenn ich die benennen darf. Einmal, dass er sich mit der Frage palästinensischer Flüchtlinge in Bethlehem beschäftigt hat, auch beim Besuch von jahrzehntealten Flüchtlingslagern.
Das zweite, dass er den Mut hatte, auch einer Regierung Netanjahu sehr klare politische Worte für die Existenz von zwei Staaten im Nahen Osten darzulegen.
Der dritte Aspekt: als er an der Westmauer stand, die wir als Klagemauer kennen, um dort zu beten. Zuvor war er auf dem Tempelberg dem al-Haram al-Sharif, um dort genauso im Felsendom eine gewisse Referenz zu erweisen.
DOMRADIO.DE: Wenige Wochen später stand Papst Franziskus mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas und Israels Staatspräsident Shimon Peres in den Vatikanischen Gärten und betete um Frieden. Heute ist von diesem Frieden nicht mehr viel zu spüren. Auch Franziskus' Diplomatie ist in die Kritik geraten. Macht der Papst in Bezug auf den Nahostkonflikt etwas falsch?
Kopp: Ich glaube nicht. Ich glaube, dass wir zwischendurch Momente symbolischer Natur brauchen wie damals das Ölbaumpflanzen im vatikanischen Garten. Das war hoch eindrucksvoll. Wir brauchen zugleich starke politische Gesten.
Deshalb war es Papst Franziskus ein Anliegen, am 7. Oktober und den Tagen danach den Terror der Hamas eindeutig zu verurteilen und das uneingeschränkte Existenzrecht Israels zu unterstreichen.
Es hat die Debatte gegeben, ob er sich nicht auch mit den Palästinensern treffen muss. Was sagt er zur Verhältnismäßigkeit des militärischen Einsatzes im Gazastreifen? Das kann man einige Tage und Wochen später.
Ich glaube, es zeigt sich deutlich, dass dem Papst daran gelegen ist, beide Seiten zu hören. Er hat im November die Angehörigen von israelischen Geiseln im Vatikan getroffen. Eine Stunde später hat er Angehörige von Palästinensern aus dem Gazastreifen getroffen. Nicht gemeinsam, aber getrennt in zwei Gruppen. Das wäre ein Zeichen dafür, dass der Papst versucht auszugleichen.
Im Moment würde ich sagen, brauchen wir eine Diplomatie, die noch deutlicher die humanitäre Unterstützung weltweit in Erinnerung ruft. Ich finde das, was unsere katholischen Einrichtungen im Gazastreifen über Caritas international organisieren, über die Catholic Welfare Organisation koordiniert, dort leistet, ist aller Ehren wert. Vielleicht braucht es in diesem Drama um die humanitäre Situation im Gazastreifen noch einmal ein Wort aus Rom, hier weiter weltweit unterstützend mitzuwirken.
DOMRADIO.DE: Sie sehen vor allem die Aufgabe der Kirche, in der humanitären Situation zu helfen. Wie sieht es politisch aus? Da geht es gerade hoch her. Gegen diverse Hamasführer und Israels Ministerpräsident sowie Verteidigungsminister wurde beim Internationalen Strafgerichtshof Haftbefehl beantragt.
Mehrere europäische Länder wollen Palästina als eigenständigen Staat anerkennen, dagegen protestiert Israel heftig. Wie kann der Papst und die Kirche politisch aktiv werden? Oder ist das nicht die erste Wahl für die katholische Kirche?
Kopp: Doch, das gehört seit über 50 Jahren zur vatikanischen Diplomatie dazu, dass in besonderen Krisen und Kriegssituationen der Heilige Stuhl sein Territorium als Verhandlungsfläche anbietet. Das ist damals, 2003, kurz vor dem Sturz von Saddam Hussein im Irak, gemacht worden.
Das Angebot hat Saddam Hussein damals nicht angenommen, aber es war ein römischer Kurienkardinal im Irak, um es Saddam Hussein anzubieten. Die vatikanische Diplomatie wird im Hintergrund daran arbeiten, der Hamas wie auch den Israelis dieses Territorium für Gespräche anzubieten.
Das mag von außen betrachtet ein Tropfen auf den heißen Stein sein, aber manchmal ist der Tropfen auf den heißen Stein außerordentlich erfolgreich. Wie vor vielen Jahren, als die Vereinbarung zwischen den USA und Kuba geschaffen wurde, auf dem Territorium des Vatikans.
Von daher wird der Vatikan, glaube ich, auch derzeit nichts unversucht lassen. Der lateinische Patriarch von Jerusalem Pizzaballa war vor kurzem in Gaza und ist sicherlich für den Vatikan ein wichtiger Unterhändler, um die Gesprächsbereitschaft Roms gegenüber der Hamas, aber auch dem Staat Israel darzustellen.
DOMRADIO.DE: Auch von kirchlicher Seite wird eine Zweistaatenlösung favorisiert. Jesuitenpater Christian Rutishauser ist Judaist, Berater von Papst Franziskus und auch der Deutschen Bischofskonferenz bezüglich der Beziehungen zum Judentum. Er sagte vor einigen Monaten bei uns im Interview, dass er eine Einstaatlösung unter der Führung Israels vor dem gegenwärtigen Hintergrund für die bessere Variante hält. Wie stehen Sie zu diesem Vorschlag?
Kopp: Ich habe das mit großem Interesse gehört. Ich kenne Pater Rutishauser gut und schätze ihn außerordentlich. Aber hier widerspreche ich ihm eindeutig.
Wir brauchen eine Zweistaatenlösung 2.0. In diesen Tagen haben wir nicht nur zehn Jahre Papst Franziskus in Israel, Palästina und Jordanien. In diesen Tagen haben wir auch den 30. Jahrestag der Unterzeichnung des Gaza-Jericho-Abkommens. Am 4. Mai 1994 wurde das Abkommen über die palästinensische Teilautonomie unterzeichnet. Davon ist nur noch ein Rumpfgebilde übrig geblieben.
Die gegenwärtige Situation ist so aufgeheizt, dass sich ein Palästinenser niemals unter die Regierung Israels stellen würde. Deswegen brauchen wir erst recht eine Zweistaatenlösung. Das ist ein Widerspruch zu Pater Rutishauser.
Ich werbe sehr dafür und der Heilige Stuhl tut das an verschiedenen Stellen auch, das Gaza-Jericho-Abkommen von 1994 mit neuem Leben zu füllen und Jerusalem als Hauptstadt zweier Staaten anzuerkennen. Dazu gehört auch das uneingeschränkte Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge kritisch zu hinterfragen, ob das 50 bis 60 Jahre später nach der Staatsgründung Israels überhaupt noch möglich ist.
Wir brauchen demnach eine Zweistaatenlösung 2.0. Nur so werden wir eine Erziehung zum Frieden hinbekommen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass auch nur ein Palästinenser im Gazastreifen unter einer israelischen Regierung leben wollte.
DOMRADIO.DE: Verhandlungen mit der Hamas, einer Terrororganisation, ist das etwas, das realistisch erscheint?
Kopp: Nein. Wir müssen schauen, wie die Hamas an die Macht gekommen ist, als sie am 25. Januar 2006 demokratisch durch Wahlen im Gazastreifen legitimiert wurde. Das war letzten Endes der Tiefpunkt innerhalb der palästinensischen Gesellschaft, dass man eine Terrororganisation demokratisch legitimiert hat.
Ich glaube, dass es im Moment notwendig wäre, dass Israel und die Hamas untereinander verhandeln. Auf Dauer muss allerdings der Staat Israel mit der Fatah verhandeln, in dem Fall mit Mahmud Abbas in Ramallah.
Hier stellt sich das Problem: Wie viel Einfluss hat Mahmud Abbas auf den Gazastreifen? Nämlich keinen. Der sogenannte Bruderkrieg zwischen Hamas und Fatah ist vor einem Jahr offiziell beendet worden.
Die Frage wird sein, mit wem Israel künftig verhandelt, wenn Mahmud Abbas eines Tages nicht mehr da sein wird. Er ist Langzeit- und Allzeitpräsident. Er hat die Wahl in den palästinensischen Gebieten fünfmal verschoben. Das zeugt nicht gerade von Demokratiefähigkeit. Hier liegt die Herausforderung für Israel. Mit wem wird künftig verhandelt?
Das Interview führte Jan Hendrik Stens.