Vorläufige Bilanz des jüngsten Vatileaks-Prozesses

Erst das Gericht, dann die Barmherzigkeit

Über ein halbes Jahr hat sich der Vatikan bemüht, die Weitergabe vertraulicher Dokumente über Kirchenfinanzen aufzuklären. Ob jemand dafür hinter Gitter muss, ist jedoch fraglich - und die Barmherzigkeit spielt auch noch eine Rolle.

Autor/in:
Thomas Jansen
Vatileaks 2-Prozess im Vatikan / © Epa/L'Osservatore Romano (dpa)
Vatileaks 2-Prozess im Vatikan / © Epa/L'Osservatore Romano ( dpa )

Würde der Papst eine junge Italienerin, die einen erst wenige Wochen alten Säugling hat, tatsächlich für drei Jahre und neun Monate im Vatikan hinter Gitter bringen? Diese Frage ist eine von vielen, die am Ende eines bislang beispiellosen vatikanischen Strafverfahrens stehen: Nach der letzten Sitzung am Mittwoch, in der die Schlussplädoyers der Verteidigung von drei Angeklagten vorgetragen wurden, erwarten Beobachter nun bald das Urteil im Vatileaks-Prozess. Seit November hat das Gericht des Vatikanstaats versucht zu klären, wie es zur Weitergabe vertraulicher Dokumente aus dem Vatikan an Journalisten kam.

So viel steht bereits vor der Urteilsverkündigung fest: Der frühere ranghohe Kurienmitarbeiter Lucio Angelo Vallejo Balda hat den beiden mitangeklagten italienischen Journalisten Gianluigi Nuzzi und Emiliano Fittipaldi sensible Dokumente der vom Papst eingesetzten Wirtschaftsprüfungskommission COSEA zugespielt. Das gestand er bereits im März zu Beginn seiner Vernehmung.

Schlammschlacht

Das Motiv für den spanischen Priester, einen so schweren Bruch des Dienstgeheimnisses zu begehen, war offenbar, dass er sich erpressbar fühlte. Im Laufe der Vernehmungen erklärte er, was viele Beobachter bereits vermuteten: Dass er und die ebenfalls angeklagte Francesca Chaouqui ein kompromittierendes Verhältnis gehabt hätten, das über eine rein freundschaftliche Beziehung hinausging. Die verheiratete Chaouqui bestritt dies und behauptete ihrerseits, der Priester könne mit Frauen gar nichts anfangen. Die Schlammschlacht war eröffnet.

Vallejo sagte aus, dass er von den beiden Journalisten nicht direkt erpresst oder bedroht worden sei. Aufgrund seines damaligen labilen psychischen Zustands habe er dies jedoch so wahrgenommen. Unmittelbar unter Druck gesetzt habe ihn nur Chaouqui.

Prozess erschüttert Vatikan nicht

Viel Kritik hat dem Vatikan die Anklage gegen die beiden Journalisten Nuzzi und Fittipaldi eingebracht; der italienische Journalistenverband protestierte, italienische Parlamentarier unterzeichneten eine Solidaritätsadresse, und sogar eine OSZE-Vertreterin mahnte die Achtung der Meinungsfreiheit an. Der Vatikan argumentierte dagegen, Nuzzi und Fittipaldi werde nicht die Veröffentlichung vertraulicher Dokumente zur Last gelegt, sondern deren illegale Beschaffung.

Im Vergleich zum ersten Vatileaks-Prozess 2012, als der frühere Kammerdiener von Benedikt XVI. wegen der Weitergabe vertraulicher Unterlagen vom päpstlichen Schreibtisch vor Gericht stand, war die Neuauflage wenig brisant. Zu keinem Zeitpunkt erschütterte sie die Grundfesten des Pontifikats.

Teilweise hohe Haftstrafen gefordert

Die vatikanische Staatsanwaltschaft hat für Chaouqui und Vallejo Balda hohe Haftstrafen gefordert: drei Jahre und neun Monate für die italienische PR-Beraterin und drei Jahre und einen Monat für den spanischen Geistlichen, der anfänglich in Untersuchungshaft saß, dann unter Hausarrest stand und sich mittlerweile innerhalb des Vatikan frei bewegen kann. Sie warf beiden im Schlussplädoyer am Montag die Bildung einer kriminellen Vereinigung mit dem Ziel der Verbreitung sensibler Informationen vor. Der Journalist Nuzzi soll nach dem Willen der Staatsanwaltschaft ein Jahr auf Bewährung erhalten, Fittipaldi straffrei ausgehen.

Junge Mutter hinter Gittern?

Chaouqui brachte vor wenigen Wochen einen Sohn zur Welt. Kein Beobachter rechnet ernsthaft damit, dass sie ihre Strafe im Falle einer Verurteilung wirklich abbüßen müsste. Zum einen, weil der Vatikan dazu erst einmal ein Rechtshilfeersuchen an die italienische Justiz stellen müsste, um die italienische Staatsbürgerin an den Vatikan auszuliefern. Zum anderen, weil dies kaum zum Papst passen würde, der gerade ein Jahr der Barmherzigkeit ausgerufen hat. Schließlich hatte auch Benedikt XVI. seinen Kammerdiener begnadigt.

Auch für die anderen Angeklagten rechnen Beobachter, wenn es zu einer Verurteilung kommen sollte, mit einer Begnadigung durch Franziskus. Warum dann der Prozess? Offenbar wollte der Vatikan ein Exempel statuieren und potenzielle Nachahmer abschrecken. Ob ihm dies gelungen ist, muss sich erst zeigen.


Quelle:
KNA