DOMRADIO.DE: Es ist ja wettermäßig das totale Kontrastprogramm zum verregneten letzten Mal. Wie wirkt sich das denn auf die Stimmung aus?
Tilman Lautzas (Landesjugendpastor der Nordkirche): Die Stimmung ist sehr gut. Das kann man nicht anders sagen. Ich habe noch niemanden gehört, der klagt hat, dass kein Matsch da ist, obwohl der eigentlich dazugehört. Aber in diesem Jahr sind, glaube ich, alle nach dem letzten verregneten Sommer ganz froh, dass es mal richtig schön sonnig ist.
DOMRADIO.DE: Und man muss sich das so vorstellen: Auf der Bühne, da wummern die Bässe. Die Leute langen auch ordentlich beim Alkohol zu. Wie groß ist denn da das Bedürfnis nach Gesprächen abseits der Konzerte?
Lautzas: Das Bedürfnis nach Gesprächen nimmt ständig zu, weil die Seelsorge auf dem Wacken-Festival bekannter geworden ist. Wir haben das gerade mal ausgewertet und haben gesehen: seit 2014 haben sich die Zahlen auf jetzt etwa 230 oder 240 Gespräche fast verdoppelt.
DOMRADIO.DE: Wie machen Sie das denn: Ihre Kollegen tragen Westen, auf den fett Seelsorger steht. Werden Sie denn mittlerweile eher angesprochen oder sprechen Sie auch schon mal Leute an?
Lautzas: Beides. Wir werten auch dieses anonym aus. Und es ist tatsächlich so: Es kommen mehr Menschen zu uns, entweder direkt oder durch die benachbarten Menschen vom Deutschen Roten Kreuz, die dort ein Zeltkrankenhaus betreiben. Oder auch von der Polizei oder Security. Es kommen relativ viele direkt zum Zelt. Aber wir sprechen auch Menschen an. Durchaus.
DOMRADIO.DE: Mit was für Sorgen kommen die Leute dann zu Ihnen?
Lautzas: Eigentlich mit allem, was vorkommt, wenn so viele Menschen auf dem Platz sind. Mit allen die hier auch mithelfen, sind es bestimmt 90.000 Menschen. Das ist ja schon eine mittelgroße Stadt.
Da gibt es durchaus Menschen, die klassisch mit Beziehungsproblemen kommen oder es klappt mit dem Freundeskreis nicht, mit dem man angereist ist. Es gibt aber auch Fälle, wo Menschen auch Sorgen mitbringen. Das können Trauer-Situationen sein, Abschied-Situationen, Vorerkrankung, Sorgen mit Familie oder Beruf, also eigentlich das ganze Spektrum, was man aus der Seelsorge sonst auch kennt.
DOMRADIO.DE: Und wie können Sie dann helfen?
Lautzas: Wir haben uns eigentlich zunehmend auf kurze Gespräche fokussiert. Ich sage mal, wir versuchen innerhalb einer halben Stunde Lösungen zu erarbeiten, dass Menschen stabilisiert werden und dass sie für sich die ersten nächsten Schritte finden. Wir wollen erreichen, dass sie sagen könne: Ja, es ist jetzt für mich Zeit, abzureisen. Ich muss doch nach Hause fahren. Oder aber: Ich finde Wege, wie ich in meiner Gruppe oder mit den Temperaturen oder mit dem Festival zu Recht komme und dann eben doch hierbleiben kann und das Festival noch genieße.
DOMRADIO.DE: Und wenn man Bilder oder Filme von diesem Festival sieht, dann sind das hauptsächlich Jungs, wilde Jungs, Metal-Gruppen. Metal-Fans kokettieren ja auch oft mit satanischen Symbolen. Das spiegelt sich auch in den Texten. Wie passt das mit christlicher Seelsorge zusammen?
Lautzas: Zu den Jungs muss ich nochmal sagen: Wir haben tatsächlich nicht ganz so viele Frauen, die zur Seelsorge kommen. 80 Prozent sind Männer, die kommen. Wir haben gerade bei unserer eigenen Auswertung auch gestaunt. Das sind ganz schwerpunktmäßig 20 bis 30-Jährige. Dann gibt es die Gruppe der Erwachsenen. Es gibt auch Minderjährige, es gibt auch alte Menschen, die kommen. Aber es sind tatsächlich überwiegend junge Erwachsene und Erwachsene. Und da gibt natürlich eine gewisse Spannung zwischen der Symbolik des Wacken-Festivals und den christlichen Symbolen. Aber wir sind ja erst mal konfessionell ganz offen und jeder und jede kann zu uns kommen und wir diskutieren gerne auch über Glaubensfragen.
DOMRADIO.DE: Haben Sie den Eindruck, dass hinter den satanischen Symbolen etwas steckt. Ist das eine Provokation?
Lautzas: Ich glaube, da muss man sehr differenzieren. Es gibt einige kleine Grüppchen, die sich vielleicht selbst als Satanisten bezeichnen würden oder als so radikale Atheisten und das Christentum so radikal ablehnen. Aber wir erleben eigentlich keine Feindseligkeit mehr. Ich glaube, dass für viele das Fest eine Kunst und Feierform ist. Also: Mal richtig die Sau rauslassen; einmal das Böse so richtig auf den Punkt bringen und sich nicht an Regeln halten, weder an Gender-Normen, nicht an Umweltnormen und dabei trotzdem richtig lieb und nett bleiben.
Das Interview führte Heike Sicconi.